Bundesverwaltungsgericht bestätigt GEZ-Gebühren für PCs

2. November 2010
GEZ: Die nächste Runde bitte.
Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat nach anderslautenden Entscheidungen verschiedener Vorinstanzen nun entschieden, daß für internetfähige PC Rundfunkgebühren zu zahlen sind, ungeachtet ihres konkreten Nutzungszwecks.

Die Rundfunkanstalten halten die Besitzer von internetfähigen PC für gebührenpflichtig, weil sich mit diesen Geräten Sendungen empfangen lassen, die mit sog. Livestream in das Internet eingespeist werden.

Kläger waren zwei Rechtsanwälte und ein Student, die in ihren Büros bzw. in der Wohnung kein angemeldetes Rundfunkgerät bereit hielten, aber dort jeweils internetfähige PC besaßen.

Das Gericht hat die Revisionen der drei Kläger gegen abschlägige Urteile der Vorinstanzen mit der Begründung zurückgewiesen, daß es sich bei internetfähigen PC handelt um Rundfunkempfangsgeräte i.S.d. Rundfunkgebührenstaatsvertrags handele. Folglich sei für das Entstehen der Gebührenpflicht allein der Umstand entscheidend, ob die Geräte zum Empfang bereit gehalten werden, nicht aber, ob der Inhaber tatsächlich Radio- bzw. Fernsehsendungen mit dem Rechner empfängt. Genausowenig ist es entscheidend, ob der PC mit dem Internet verbunden ist, wenn er technisch nur überhaupt dazu in der Lage ist.

Diese Regelung des Rundfunkgebührenstaatsvertrag verstößt nach Auffassung des Gerichts auch nicht gegen höherrangiges Recht und verletzt die Kläger auch nicht in ihrem Recht auf Freiheit der Information (Art. 5 Abs. 1 GG) und der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) oder den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG).

Zwar greife die Erhebung von Rundfunkgebühren für internetfähige PC in die Grundrechte der Kläger aus Art. 5 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG ein, indem sie die Rundfunkgebührenpflicht an die – jedenfalls auch – beruflichen und informatorischen Zwecken dienende Nutzung oder auch nur den Besitz der Rechner knüpfe. Dieser Eingriff sei jedoch gerechtfertigt durch die ebenfalls verfassungsrechtlich begründete Finanzierungsfunktion der Rundfunkgebühren für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Der Eingriff sei auch nicht unverhältnismäßig, sondern von der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers gedeckt.

Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Abgabenrecht, dass die Gebührenpflichtigen durch ein Gebührengesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Wird die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt, kann dies die Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Gebührengrundlage nach sich ziehen. Die Rundfunkanstalten können an der Gebührenpflichtigkeit von internetfähigen PC daher auf Dauer nur festhalten, wenn diese sich auch tatsächlich durchsetzen lässt. Insoweit wird der Gesetzgeber die Entwicklung zu beobachten haben.

Die Einbeziehung von Rechnern, die zwar nicht mit dem Internet verbunden sind, aber rein technisch dazu in der Lage wären, erscheint als allzu extensive Auslegung der Begriffstrias „zum Empfang bereithalten“. Der Streit um die Gebührenpflicht solcher Geräte wird sich indes sowieso alsbald erledigt haben, wenn ab 2013 die neue „Haushaltsgebühr“ greift. Damit dürfte das Thema dann  jedoch noch (längst) nicht vom Tisch sein und sich um Fragen wie „Aufkommensneutralität“ und „soziale Befreiungstatbestände“ munter weiterdrehen.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. Oktober 2010, AZ:  6 C 12/09, 6 C 17/09 und 6 C 21/09

Vorinstanzen:
OVG Koblenz, 7 A 10959/08 – Urteil vom 12. März 2009 – VG Koblenz, 1 K 496/08.KO – Urteil vom 15. Juli 2008
OVG Münster, 8 A 732/09 – Urteil vom 26. Mai 2009 – VG Münster 7 K 744/08 – Urteil vom 27. Februar 2009
VGH München, 7 B 08.2922 – Urteil vom 19. Mai 2009 – VG Ansbach, AN 5 K 08.00348 – Urteil vom 10. Juli 2008


Fall „Emmely“ – BAG erklärt Kündigung für unwirksam

10. Juni 2010

Womit wohl die wenigsten gerechnet haben, ist doch eingetreten. Das Bundesarbeitsgericht hat die von den beiden Vorinstanzen noch für wirksam erachtete Kündigung der bundesweit bekannt gewordenen Kassiererin „Emmely“, die von ihrem Arbeitgeber, der Einzelhandelskette Kaisers, wegen des „Diebstahls“ von zwei Pfandbons im Wert von insgesamt rund 1,30 € fristlos gekündigt worden war, nun für unwirksam erklärt.

Das Gericht weicht in seiner Begründung die seit dem sog. „Bienenstich-Fall“ (BAG-Urteil vom 17.05.1984, 2 AZR 3/83) geltende Regel, wonach auch der Diebstahl geringwertiger Gegenstände eine fristlose Kündigung ohne weiteres rechtfertigt, auf:

Der Senat führt insoweit aus, daß zwar ein vorsätzlicher Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Vertragspflichten eine fristlose Kündigung auch dann rechtfertigen kann, wenn der damit einhergehende wirtschaftliche Schaden gering ist.
Umgekehrt ist jedoch nicht jede unmittelbar gegen die Vermögensinteressen des Arbeitgebers gerichtete Vertragspflichtverletzung ohne Weiteres ein Kündigungsgrund.

Maßgeblich ist insoweit § 626 Abs. 1 BGB, wonach eine fristlose Kündigung nur aus „wichtigem Grund“ erfolgen kann.
Das Gesetz selbst nennt keine „absoluten Kündigungsgründe“.
Ob ein „wichtiger Grund“ vorliegt, muss vielmehr nach dem Gesetz „unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile“ beurteilt werden. Dabei sind alle für das jeweilige Vertragsverhältnis in Betracht kommenden Gesichtspunkte zu bewerten. Dazu gehören das gegebene Maß der Beschädigung des Vertrauens, das Interesse an der korrekten Handhabung der Geschäftsanweisungen, das vom Arbeitnehmer in der Zeit seiner unbeanstandeten Beschäftigung erworbene „Vertrauenskapital“ ebenso wie die wirtschaftlichen Folgen des Vertragsverstoßes; eine abschließende Aufzählung ist nicht möglich. Insgesamt muss sich die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses als angemessene Reaktion auf die eingetretene Vertragsstörung erweisen. Unter Umständen kann eine Abmahnung als milderes Mittel zur Wiederherstellung des für die Fortsetzung des Vertrags notwendigen Vertrauens in die Redlichkeit des Arbeitnehmers ausreichen.

In Anwendung dieser Grundsätze hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts – anders als die Vorinstanzen – der Klage der Kassiererin eines Einzelhandelsgeschäfts stattgegeben, die ihr nicht gehörende Pfandbons im Wert von insgesamt 1,30 Euro zum eigenen Vorteil eingelöst hat. Die Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Am 12. Januar 2008 wurden in ihrer Filiale zwei Leergutbons im Wert von 48 und 82 Cent aufgefunden. Der Filialleiter übergab die Bons der Klägerin zur Aufbewahrung im Kassenbüro, falls sich ein Kunde noch melden sollte. Sie lagen dort sichtbar und offen zugänglich. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen reichte die Klägerin die beiden Bons bei einem privaten Einkauf zehn Tage später bei der kassierenden Kollegin ein. Diese nahm sie entgegen, obwohl sie, anders als es aufgrund einer Anweisung erforderlich gewesen wäre, vom Filialleiter nicht abgezeichnet worden waren. Im Prozess hat die Klägerin bestritten, die Bons an sich genommen zu haben, und darauf verwiesen, sie habe sich möglicherweise durch Teilnahme an gewerkschaftlichen Aktionen Ende 2007 unbeliebt gemacht. Vor der Kündigung hatte sie zur Erklärung ins Feld geführt, die Pfandbons könnten ihr durch eine ihrer Töchter oder eine Kollegin ins Portemonnaie gesteckt worden sein. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis ungeachtet des Widerspruchs des Betriebsrats wegen eines dringenden Tatverdachts fristlos, hilfsweise fristgemäß.

Die Kündigung ist unwirksam. Die mit einer sogenannten „Verdachtskündigung“ verbundenen Fragen stellten sich dabei in der Revisionsinstanz nicht, weil das Landesarbeitsgericht – für den Senat bindend – festgestellt hat, dass die Klägerin die ihr vorgeworfenen Handlungen tatsächlich begangen hat. Der Vertragsverstoß ist schwerwiegend. Er berührte den Kernbereich der Arbeitsaufgaben einer Kassiererin und hat damit trotz des geringen Werts der Pfandbons das Vertrauensverhältnis der Parteien objektiv erheblich belastet. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Dagegen konnte das Prozessverhalten der Klägerin nicht zu ihren Lasten gehen. Es lässt keine Rückschlüsse auf eine vertragsrelevante Unzuverlässigkeit zu. Es erschöpfte sich in einer möglicherweise ungeschickten und widersprüchlichen Verteidigung. Letztlich überwiegen angesichts der mit einer Kündigung verbundenen schwerwiegenden Einbußen die zu Gunsten der Klägerin in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkte. Dazu gehört insbesondere die über drei Jahrzehnte ohne rechtlich relevante Störungen verlaufene Beschäftigung, durch die sich die Klägerin ein hohes Maß an Vertrauen erwarb. Dieses Vertrauen konnte durch den in vieler Hinsicht atypischen und einmaligen Kündigungssachverhalt nicht vollständig zerstört werden. Im Rahmen der Abwägung war auch auf die vergleichsweise geringfügige wirtschaftliche Schädigung der Beklagten Bedacht zu nehmen, so dass eine Abmahnung als milderes Mittel gegenüber einer Kündigung angemessen und ausreichend gewesen wäre, um einen künftig wieder störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu bewirken.

Die Entscheidung dürfte Signalwirkung auf zahlreiche ähnlich gelagerte Fälle entfalten, die in jüngster Vergangenheit auch schon von den Instanzgerichten kritisch(er) beleuchtet worden sind.
Der Pauschalannahme eines „zerstörten Vertrauensverhältnisses“ ist jedoch eine Absage erteilt worden hin zu einer differenzierten und gewichtenden Beurteilung der gesamten Umstände.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. Februar 2009 – 7 Sa 2017/08 –


BGH: Haftung für unzureichend gesicherten WLAN-Anschluss – Deckelung der Abmahnkosten

12. Mai 2010

Der BGH hat heute entschieden, daß Privatpersonen auf Unterlassung, nicht dagegen auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden können, wenn ihr nicht ausreichend gesicherter WLAN-Anschluss von unberechtigten Dritten für Urheberrechtsverletzungen im Internet, sprich illegale Downloads, genutzt wird.

Die Klägerin und Inhaberin der Rechte an dem Musiktitel „Sommer unseres Lebens“ hatte mit Hilfe der Staatsanwaltschaft ermittelt, daß dieser Titel vom Internetanschluss des Beklagten aus auf einer Tauschbörse zum Herunterladen im Internet angeboten worden war. Der Beklagte war in der fraglichen Zeit jedoch in Urlaub. Die Klägerin verlangte von dem Beklagte neben Unterlassung auch Schadensersatz und die Erstattung der anwaltlichen Abmahnkosten.

Die Vorinstanzen hatten unterschiedlich geurteilt: Während die Eingangsinstanz der Klage noch in vollen Umfang stattgegeben hatte, wurde die Klage in der zweiten Instanz hingegen umfänglich abgewiesen.
Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden, daß eine Haftung des Beklagten als Täter oder Teilnehmer einer Urheberrechtsverletzung nicht in Betracht komme, weil der Beklagte das besagte Musikstück nicht selbst angeboten hat und auch im übrigen keinen Vorsatz hatte.
Allerdings hat der BGH klargestellt, daß auch private Anschlussinhaber die Pflicht trifft, zu prüfen, ob ihr WLAN-Anschluss durch angemessene Sicherungsmaßnahmen vor der Gefahr geschützt ist, von unberechtigten Dritten zur Begehung von Urheberrechtsverletzungen mißbraucht zu werden.
Diese Prüfpflicht beinhaltet indes keine fortlaufende Überprüfung und Anpassung der Netzwerksicherheit an den neuesten Stand der Technik, sondern beschränkt sich auf die marktüblichen Sicherungen, die zum Zeitpunkt der Installation aktuell sind.

Diese Pflicht hat der Beklagte nach Meinung des Bundesgerichtshofs verletzt. Er hatte es bei den werkseitigen Standardsicherheitseinstellungen des WLAN-Routers belassen und das Passwort nicht durch ein persönliches, ausreichend langes und sicheres Passwort ersetzt.

Der Beklagte ist deshalb nach den Rechtsgrundsätzen der sog. Störerhaftung zu Unterlassung und Erstattung der Abmahnkosten ( maximal 100 €, vgl. § 97a UrhG) verurteilt worden. Dieser Unterlassungsanspruch bzw. diese Haftung besteht schon nach der ersten über seinen WLAN-Anschluss begangenen Urheberrechtsverletzung.

Dieses Urteil dürfte noch längst nicht das letzte Wort zum Thema (öffentliche) WLAN-Netze sein. Es stellt sich unter anderem die Frage nach der Zumutbarkeit von Sicherungsmaßnahmen: soll und kann es hier wirklich immer nur auf die zum Zeitpunkt der Installation aktuellen Sicherheitsstands ankommen oder besteht nicht doch eine Pflicht zu „Aktualisierungen“ ? Hier wird noch der genaue Urteilstext abzuwarten sein, um zu sehen, was das Gericht etwa unter „Installation des Netzwerkes“ versteht.
Auch die Auswirkungen des vorliegenden Urteils auf die Beurteilung von Störerhaftung und konkreten Urheberrechtsverletzungen in öffentlichen Netzen (Hotspots) wie z.B. in Universitäten, Cafés, Flughäfen o.ä. dürften Literatur und Rechtsprechung noch auf absehbare Zeit beschäftigen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. Mai 2010 – I ZR 121/08
Vorinstanzen:
OLG Frankfurt, Urteil vom 1. Juli 2008 – 11 U 52/07
LG Frankfurt, Urteil vom 5. Oktober 2007 – 2/3 O 19/07


LAG: Keine Kündigung wegen privater Internetnutzung am Arbeitsplatz

19. April 2010

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz hat mit einem Urteil vom 26.02.2010, das am 19. April 2010 veröffentlicht wurde, entschieden, daß die private Nutzung des Internets während der Arbeitszeit eine verhaltensbedingte Kündigung nicht ohne weiteres rechtfertigt.

Der wegen wiederholter und dokumentierter privater Nutzung des Internets gekündigte Mitarbeiter (er hatte zumeist den Kontostand bei seiner Bank abgefragt) hatte folgende Mitarbeitererklärung unterzeichnet:

Der Zugang zum Internet und E-Mail ist nur zu dienstlichen Zwecken gestattet. Jeder darüber hinausgehende Gebrauch – insbesondere zu privaten Zwecken – ist ausdrücklich verboten. Verstöße gegen diese Anweisung werden ohne Ausnahme mit arbeitsrechtlichen Mitteln sanktioniert und führen – insbesondere bei Nutzung von kriminellen, pornographischen, rechts- oder linksradikalen Inhalten – zur außerordentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

1. Das LAG befand zunächst, daß „der Arbeitgeber seiner Darlegungslast zur Feststellung einer erheblichen Beeinträchtigung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung entsprechend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 27.4.2006, 2 AZR 386/05) nicht so nachgekommen ist, daß eine Sozialgemäßheit der ausgesprochenen Kündigung anzunehmen wäre.

Das BAG hat in der zitierten Entscheidung u. a. ausgeführt, daß die private Internetnutzung während der Arbeitszeit eine Verletzung der Hauptleistungspflicht zur Arbeit bedeutet und weitergehend präzisiert, daß „die private Nutzung des Internets … die Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung nicht erheblich beeinträchtigen“ darf, wobei die „Pflichtverletzung .. dabei um so schwerer wiegt, je mehr der Arbeitnehmer bei der privaten Nutzung des Internets seine Arbeitspflicht in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht vernachlässigt.

Im vorliegenden Fall konnte der Arbeitgeber zwar anhand einer Aufstellung belegen, zu welchen Zeiten der Arbeitnehmer welche Seiten aufgerufen hatte, das Gericht monierte indes das Fehlen der „Darstellung der Verweildauer des AN an den fraglichen Tagen im Internet; dies wäre insbesondere im Hinblick auf dessen Einwand, dass etwa Rückfragen bei seiner Bank zum Kontostand allenfalls 20 Sekunden betragen hätten, erforderlich gewesen, um die Schwere der behaupteten Pflichtverletzungen entsprechend der“ oben skizzierten Rechtsprechung des BAG festzustellen.

Fazit: Hätte der Arbeitgeber neben den Zugriffszeiten auch die Zugriffsdauer dokumentiert, wäre die Sache möglicherweise anders ausgegangen,weil es grundsätzlich nicht zur Darlegungslast des Arbeitgebers gehört, „im Einzelnen vorzutragen, ob und inwiefern auch die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers unter seinen Privatbeschäftigungen während der Dienstzeit gelitten hat„, während er sich diese Zeit „als Arbeitszeit hat bezahlen lassen“ (BAG, aaO.).

2. Das Landesarbeitsgericht hat weiterhin (noch einmal) klargestellt, daß der „Zweck der Kündigung … nicht eine Sanktion für eine begangene Vertragspflichtverletzung, sondern die Vermeidung des Risikos weiterer erheblicher Pflichtverletzungen“ ist.

Dies bedeutet wiederum, daß sich die Pflichtverletzung (=privates Surfen) auch „noch in Zukunft belastend auswirken“ muß im Sinne einer Prognose hinsichtlich des zukünftigen Verhaltens des Arbeitnehmers nach Ausspruch einer Kündigungsandrohung bzw. Abmahnung wegen seines Verhaltens:

Liegt eine ordnungsgemäße Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer erneut seine vertragliche Verpflichtungen, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen.
Dann erst also wäre eine verhaltensbedingte Kündigung als arbeitsrechtliches Mittel gerechtfertigt, wobei das BAG jedoch auch ausgeführt hat, daß hartnäckige und uneinsichtige Verstöße gegen die Weisung des Arbeitgebers, nicht während der Arbeitszeit mit den Arbeitsmitteln private Dinge zu treiben, „regelmäßig auch eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung“ rechtfertigen (BGH, aaO.).

Das Gericht kommt zu keinem anderen Ergebnis „auch nicht unter dem Aspekt der Unterzeichnung der Mitarbeitererklärung vom 04. August 2004, die zum einen zeitlich lange zurückliegt und zum anderen inhaltlich die Notwendigkeit arbeitsrechtlicher Sanktionen gerade selbst „vorschreibt“. Hierzu gehört als „Vorstufe“ einer verhaltensbedingten Kündigung grundsätzlich die zu fordernde Abmahnung.

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 26.02.2010, AZ: 6 Sa 682/09
Vorinstanz:
Arbeitsgerichts Koblenz , Urteil vom 30. 09.2009, AZ: 4 Ca 538/09


BFH: Kein Abzug von nicht einkünftebezogenen Steuerberatungskosten

18. April 2010

Der Bundesfinanzhof hat in seinem erst kürzlich veröffentlichten Urteil vom 04.02.2010 entschieden bzw. bestätigt, daß Steuerberatungskosten für die Erstellung der Einkommensteuererklärung nicht (mehr) absetzbar sind.

Hintergrund der Entscheidung ist eine Änderung im Einkommenssteuergesetz (EStG), mit der der Sonderausgabenabzug (§ 10 Abs. 1 Nr. 6 EStG) für Steuerberatungskosten bereits seit dem Veranlagungszeitraum 2006 aufgehoben worden ist.

Der BFH hat nun klargestellt, daß die Steuerberatungskosten für die Erstellung der Einkommenssteuererklärung weder gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG als abzugsfähige „Dauernde Lasten“  eingestuft werden können, noch ein Abzug gemäß § 33 EStG als „außergewöhnliche Belastung“ in Frage komme.

Auch das subjektive Nettoprinzip, wonach die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichtet wird und Aufwendungen für die Erwerbstätigkeit selbst und andere existenzsichernde Aufwendungen in Form von Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen grundsätzlich steuerlich abzugsfähig sind, sieht das Gericht nicht verletzt, weil „der Ersatz von Steuerberatungskosten … sozialhilferechtlich nicht gewährleistet“ wird und „die Inanspruchnahme von Steuerberatungsleistungen … nicht Teil des notwendigen Existenzminimums“ ist, vgl. § 27 Abs. 1 SGB XII.

Das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot sieht das Gericht durch die Nichtberücksichtigung der Steuerberatungskosten richtigerweise als nicht verletzt an, interessant ist die Urteilsbegründung jedoch „ im Hinblick auf die Kompliziertheit des Steuerrechts„:

Die Finanzbehörde ist nach § 89 Abs. 1 AO zur Beratung verpflichtet; sie soll die Abgabe von Erklärungen, die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von Erklärungen oder Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind; sie erteilt, soweit erforderlich, Auskunft über die den Beteiligten im Verwaltungsverfahren zustehenden Rechte (sic!) und die ihnen obliegenden Pflichten.

Auch verlangen die Steuergesetze nichts Unmögliches; gemäß § 150 Abs. 2 AO sind die Angaben in den Steuererklärungen nach bestem Wissen und Gewissen zu machen. Maßstab ist das individuelle subjektive Können und Wissen des einzelnen Steuerpflichtigen.

Die Ausfüllung von Steuererklärungsvordrucken kann sicherlich einen erheblichen Aufwand verursachen. Diese Last ist aber –wie auch andere Pflichten, etwa die Wehrpflicht– im demokratischen Gemeinwesen „entschädigungslos“ hinzunehmen.

Im demokratischen Rechtsstaat sind Steuern Solidarbeiträge zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben, an denen jeder nach Maßgabe seiner Leistungsfähigkeit zu beteiligen ist. Es ist daher die Pflicht eines jeden Staatsbürgers, Steuererklärungen zu erstellen, um den von ihm geschuldeten Beitrag an den öffentlichen Lasten ermitteln zu können. Dabei ist es jedem Steuerpflichtigen unbenommen, sich steuerlich beraten zu lassen; im privaten Bereich kann er aber insoweit keine steuerliche Entlastung in Anspruch nehmen.

Fazit:

Die Entscheidung ist nach Streichung des § 10 Abs. 1 Nr. 6 EStG folgerichtig, weil der Gesetzgeber nun einmal entschieden hat, daß (private) Steuerberatungskosten nicht mehr als Sonderausgaben abzugsfähig sind.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 4. Februar 2010 X R 10/08
Vorinstanz: Urteil des Niedersächsischen FG vom 17. Januar 2008 10 K 103/07


LG Coburg: Haftungsverteilung bei ungeklärtem Unfallhergang

15. Februar 2010

Das Landgericht Coburg hatte sich mit der Aufarbeitung eines Verkehrsunfalls zu beschäftigen, dessen Hergang jedoch letztlich ungeklärt blieb.

Die Klägerin behauptete in dem Schadensersatzprozeß, daß der Unfall auf ein verkehrswidriges Verhalten des Beklagten zurückzuführen sei, der beim Spurwechsel auf der Autobahn ihr Fahrzeug übersehen habe.
Aus Sicht des beklagten Unfallgegners hingegen stellte sich der Unfallhergang anders dar: demnach sei er bereits längere Zeit auf der linken Fahrspur gefahren, als er wegen des vor ihm befindlichen Verkehrs habe abbremsen müssen und die Klägerin sodann auf sein Fahrzeug aufgefahren sei.

Weil sich das Unfallgeschehen weder mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens noch mit der Anhörung von Zeugen aufklären ließ, stellt das Gericht letztlich auf die Betriebsgefahr (generelle Gefahr bzw. Risiko, das vom Betrieb eines PKW oder anderer Maschinen ausgeht) der beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge ab und gab der Klage zur Hälfte statt.
Auch ein sogenannter Anscheinsbeweis (prima-facie-Beweis; „wer auffährt, ist schuld“..), bei dem bei bestimmten Vorgängen auf das Vorliegen typischer Muster geschlossen werden kann, auch und gerade wenn nicht alle Einzelheiten des Geschehens aufklärbar sind, kam vorliegend nicht in Betracht, denn sowohl der von der Klägerin behauptete abrupte Spurwechsel des Beklagten als auch das von diesem behauptete Auffahren der Klägerin sind jeweils für sich genommen typische Geschehensabläufe, die regelmäßig zu Unfällen führen und sich vorliegend quasi gegenseitig (jeweils unwiderlegbar) ausgeschlossen haben, weshalb das Gericht letztlich auf die als etwa gleich hoch eingeschätzte (und verschuldensunabhängige) Betriebsgefahr der Fahrzeuge abstellte, was zu einer Haftungsquote von 50 % führte.

Urteil des Landgerichts Coburg vom 23.09.2009, AZ: 11 O 650/08


LG Hamburg: Abmahnung per E-Mail möglich

5. Februar 2010

Das Landgericht Hamburg hat bereits mit Urteil vom 7. Juli 2009, das erst vor kurzem veröffentlicht wurde, entschieden, daß wettbewerbsrechtliche Abmahnungen grundsätzlich auch per E-Mail zugestellt werden können und damit seine einstweilige Verfügung vom 17. März 2009 bestätigt, mit der es eine Werbung mit dem Titel „Fachanwalt für Markenrecht“ oder “Fachanwalt: Markenrecht” im Rahmen eines Internetauftritts als unlauteren Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht verboten hatte, weil die Fachanwaltordnung (dort § 1) einen „Fachanwalt für Markenrecht“ überhaupt nicht vorsieht.

Der Antragsteller und Kläger mahnte den Betreiber der Website wegen der unzulässigen Verwendung des Titels „Fachwanwalt für Markenrecht“ per E-Mail ab und sandte eine Kopie dieser E-Mail zugleich an einen anderen Berufskollegen.

Der eigentliche Adressat der elektronischen Abmahnung behauptete allerdings, daß ihn die E-Mail auf Grund einer aktiven Firewall gar nicht erreicht habe und zweifelte zudem die Zulässigkeit von Abmahnungen per E-Mail grundsätzlich an.

Diese Einwände hat das Hamburger Landgericht verworfen und ausgeführt, daß Abmahnungen auch per E-Mail verschickt werden können und heutzutage grundsätzlich davon ausgegangen werden könne, daß E-Mails ihren Adressaten auch erreichen. Das „Erreichen des Adressaten“ sieht das Gericht auch dann als erfüllt an, wenn die E-Mail im Spamfilter oder Firewall „hängenbleibt“ und konstituiert damit quasi eine Verpflichtung, auch den Spamordner auf relevante Nachrichten zu überprüfen.

Die vorliegende Entscheidung wirft einmal mehr ein Schlaglicht auf die rechtlichen Fallstricke beim zunehmenden Übergang von der postschriftlichen Kommunikation hin zur elektronischen Kommunikationsformen.
Im Grunde genommen ist ein E-Mail-Postfach vergleichbar mit einem herkömmlichen Briefkasten: Hier wie dort muß mit dem Eingang auch unerwünschter (Werbe)Nachrichten gerechnet werden.
Allerdings landet im E-Mail-Postfach bekanntlich weit mehr Werbemüll als im guten alten Briefkasten (zufolge Schätzungen sind bis zu 97 % aller Nachrichten als Spam einzustufen), weshalb automatisierte Spamfilter mittlerweile unerläßlich sind, um die Spreu vom Weizen zumindest einigermaßen zu trennen und ein sinnvolles Arbeiten mit dem Medium überhaupt erst zu ermöglichen.
Diesem Umstand trägt die vorliegende Entscheidung im Ergebnis nicht ausreichend Rechnung; denkbar wäre insoweit zumindest das Erfordernis einer Zugangsbestätigung oder die Nachsendung auch einer postschriftlichen „Version“ der Abmahnung.
Es bleibt abzuwarten, wie andere und höhere Gerichte diese Frage beurteilen werden.

Landgericht Hamburg, Urteil vom 7. Juli 2009, AZ: 312 O 142/09 und 312 O 128/09


EuGH: ab sofort verlängerte Kündigungsfristen für Arbeitnehmer

21. Januar 2010

Nach § 622 Absatz 1 BGB kann ein unbefristetes Arbeitsverhältnis mit einer Frist von 4 Wochen ordentlich gekündigt werden.
Mit zunehmender Dauer der Betriebszugehörigkeit verlängert sich jedoch die ordentliche Kündigungsfrist für den Arbeitgeber, wozu § 622 Absatz 2 BGB einen Fristenplan enthält.

Allerdings ist in § 622 Absatz 2 Satz 2 BGB geregelt, daß bei
der Berechnung der Beschäftigungsdauer .. Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt
werden. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung den Arbeitgebern eine gewisse Flexibilität bei der Kündigung jüngerer Arbeitnehmer zugestehen.

Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat nun mit Urteil vom 19. Januar 2010 (AZ: C-555/07) entschieden, daß die Regelung im BGB zur Nichtberücksichtigung von Beschäftigungszeiten, die vor dem 25. Lebenjahr liegen, wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot aus Gründen des Alters (unions)rechtswidrig ist und von den nationalen Gerichten ab sofort nicht mehr angewendet werden darf.

Das Gericht hat das gesetzgeberischen Ziel bzw. die Einschätzung, „daß es jüngeren Arbeitnehmern regelmäßig leichter falle und schneller gelinge, auf den Verlust ihres Arbeitsplatzes zu reagieren, und daß ihnen größere Flexibilität zugemutet werden könne“ und deshalb „ .. kürzere Kündigungsfristen für jüngere Arbeitnehmer deren Einstellung, indem sie die personalwirtschaftliche Flexibilität erhöhten„, erleichterten, zwar grundsätzlich für legitim erachtet.

Der EuGH führt aber in seinem Urteil weiter aus, daß die Regelung gleichwohl unverhältnismäßig und damit rechtswidrig ist:
Diese Regelung ist jedoch keine im Hinblick auf die Erreichung dieses Ziels angemessene Maßnahme, weil sie für alle Arbeitnehmer, die vor Vollendung des 25. Lebensjahrs in den Betrieb eingetreten sind, unabhängig davon gilt, wie alt sie zum Zeitpunkt ihrer Entlassung sind“ und die „.. Verlängerung der Kündigungsfrist entsprechend der Beschäftigungsdauer .. für einen Arbeitnehmer, der vor Vollendung des 25. Lebensjahrs in den Betrieb eingetreten ist, selbst wenn der Betroffene bei seiner Entlassung eine lange Betriebszugehörigkeit aufweist“ sich entsprechend verzögert. „Diese Regelung kann daher nicht als zur Erreichung des behaupteten Ziels geeignet angesehen werden.

Darüber hinaus bestimmte das Gericht, daß die unionsrechtswidrige Regelung ab sofort nicht mehr angewendetet werden darf, weil das Verbot der Altersdiskriminierung zu den „allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts“ gehört, die auch für Private unmittelbar bindend sind.

Die Folge: Beschäftigungszeiten, die vor dem 25. Lebensjahr liegen, sind bei der Ermittlung der Kündigungsfrist nach § 622 Absatz 2 Satz 1 BGB zu berücksichtigen.

Urteil des Gerichtshof der Europäischen Union vom 19.01.2010, AZ: C-555/07 (zum Volltext hier)
Vorinstanz:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, AZ: 12 Sa 1311/07


Rundfunkgebühren für PCs: AnGEZählt?

20. Januar 2010

Die nächste Runde: Das Verwaltungsgerichts Gießen hat mit zwei Urteilen vom 19. Januar zwei Gebührenbescheide der GEZ aufgehoben, mit denen diese Rundfunkgebühren für die Bereithaltung eines PCs angefordert hatte.
Internetfähige PCs, also eigentlich so ziemlich jeder Rechner, gehören nach dem 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag zu den gebührenpflichtigen sogenannten „neuartigen Rundfunkgeräten“ und unterfallen dann der Gebührenpflicht, wenn nicht bereits ein herkömmliches Rundfunkempfangsgerät bereit gehalten wird und deshalb der internetfähige PC als sog. Zweitgerät gebührenfrei ist.

Das Gericht hat nun entschieden, daß ein internetfähiger PC zwar grundsätzlich als Rundfunkempfangsgerät gilt, eine Gebührenpflicht jedoch nur dann besteht, wenn der Rechner auch nachweislich für den Rundfunkempfang bereitgehalten wird.
Denn nach Auffassung des Gerichts nimmt die Rundfunkempfangsmöglichkeit bei PCs nur eine untergeordnete Funktion ein, so daß, anders als bei den herkömmlichen Rundfunkempfangsgeräten, nicht allein aus dem Besitz auf das – vom Gebührenpflichtigen im Einzelfall (kaum) zu widerlegende – Bereithalten zum Empfang geschlossen werden kann.
Demnach muß vielmehr die GEZ nachweisen, daß ein internetfähiger PC auch zum Zweck des Rundfunkempfangs bereitgehalten wird, was praktisch (auch) kaum möglich sein dürfte.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und es ist davon auszugehen, daß die „Rundfunkanstalt“ hiergegen vorgehen wird. Der Streit wird also in die nächste Runde gehen.
Bis dahin ist es ratsam, Zahlungen an die GEZ nur noch unter Vorbehalt zu leisten (sofern nicht auf einen Gebührenbescheid, sondern nur auf Zahlungsaufforderungen oder Überweisungsträger hin gezahlt wird), denn nur so sichern Sie Ihren Anspruch auf eine spätere, eventuelle Rückerstattung gezahlter PC-Gebühren.
Im Internet finden sich hierzu verschiedene Musterschreiben, siehe etwa hier.

Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 19. Januar 2010
AZ: 9 K 305/09.GI und 9 K 3977/09.GI


Fernabsatzgeschäft: Widerruf auch bei sittenwidrigem Geschäft möglich

26. November 2009

Der Bundesgerichtshofs hat entschieden, daß bei einem Fernabsatzgeschäft ein Widerrufsrecht des Verbrauchers auch dann besteht, wenn es einen Kaufvertrag betrifft, der wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist.

In der entschiedenen Konstellation hatte die Klägerin nach einem telefonischen Werbegespräch per Fax einen Pkw-Innenspiegel mit einer unter anderem für Deutschland codierten Radarwarnfunktion zum Preis von 1.129,31 € (brutto) zuzüglich Versandkosten bestellt. Der von der Klägerin ausgefüllte Bestellschein enthielt unter anderem den vorformulierten Hinweis:

„Ich wurde darüber belehrt, dass die Geräte verboten sind und die Gerichte den Kauf von Radarwarngeräten zudem als sittenwidrig betrachten.“

Nachdem das Gerät geliefert wurde, sandte die Klägerin das Gerät zurück, erklärte den Widerruf des Geschäftes nach den Regeln über Fernabsatzgeschäfte und begehrte die Rückzahlung des Kaufpreises.
Die Beklagte verweigerte die Annahme des Gerätes und die Rückzahlung des Kaufpreises.

Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden, daß die Klägerin als Verbraucherin aufgrund des ausgeübten Widerrufs Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags hat. Sie kann demnach die Rückzahlung des Kaufpreises gemäß § 346 BGB und Erstattung der Kosten für die Rücksendung des Gerätes verlangen, § 357 Abs. 2 Satz 2 BGB.

Zwar ist der Kaufvertrag über den Erwerb eines Radarwarngeräts unstrittig sittenwidrig und damit nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn der Kauf nach dem für beide Seiten erkennbaren Vertragszweck auf eine Verwendung des Radarwarngeräts im Geltungsbereich der deutschen Straßenverkehrsordnung gerichtet ist (vgl. BGH vom 23. Februar 2005 – VIII ZR 129/04, NJW 2005, 1490 f.).

Das Recht der Klägerin, sich von dem Fernabsatzvertrag zu lösen, wird davon jedoch nicht berührt.
Denn das Widerrufsrecht nach §§ 312d, 355 BGB beim Fernabsatzvertrag ist unabhängig davon gegeben, ob die Willenserklärung des Verbrauchers oder der Vertrag wirksam ist.
Der Sinn des Widerrufsrechts beim Fernabsatzvertrag besteht darin, dem Verbraucher ein an keine materiellen Voraussetzungen gebundenes, einfach auszuübendes Recht zur einseitigen Loslösung vom Vertrag in die Hand zu geben, das neben den allgemeinen Rechten besteht, die jedem zustehen, der einen Vertrag schließt.

Das Gericht hat damit klargestellt, daß der Ausschluß der Rückforderung gemäß § 817 BGB (Kondiktionssperre) das Widerrufsrecht unberührt läßt, auch wenn der Berechtigte, also der Verbraucher, die die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände sehenden Auges selbst (mit) herbeigeführt hat.
Der in der Vorschrift des § 817 BGB konstituierte Gedanke des Verbots der unzulässigen Rechtsausübung kann nach Auffassung des BGH nur dann ausnahmsweise zum Tragen kommen, wenn der Unternehmer im Einzelfall besonders schutzbedürftig ist, was das Gericht vorliegend jedoch verneint hat, weil der Verstoß gegen die guten Sitten beiden Parteien vorzuwerfen ist.

In einem ähnlich gelagerten Fall hatte das Gericht 2005 (VIII ZR 129/04) zwar entschieden, daß der Käufer eines Radarwarngerätes eine Rückzahlung des Kaufpreises nicht verlangen könne. In der damaligen Konstellation scheiterte der Rückzahlungsanspruch indes an der Kondiktionssperre des § 817 BGB; einen auf das Fernabsatzgesetz gestützten Rückzahlungsanspruch hatte der Kläger seinerzeit nicht geltend gemacht.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 25. November 2009 – VIII ZR 318/08
Vorinstanzen:
AG Leer – Urteil vom 28. April 2008 – 071 C 130/08 (I)
LG Aurich – Urteil vom 21. November 2008 – 1 S 140/08 (138)


Störerhaftung von Webmastern: Haftung für Einbindung fremder Fotos

19. November 2009

Der BGH hat entschieden, daß Betreiber von Internetseiten für urheberrechtlich geschützte Fotos haften können, die durch Internetnutzer auf die Seiten hochgeladen werden.

Anlaß für die vorliegende Entscheidung des u. a. für das Urheberrecht zuständigen I. Zivilsenats war ein Rechtsstreit um Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche.
Beklagter war der Betreiber einer Rezeptsammlung im Internet (www.chefkoch.de), der unter dieser Adresse eine kostenfrei abrufbare Rezeptsammlung anbietet. Die Rezepte werden dort von Privatpersonen selbständig mit passenden Bildern hochgeladen.
Dabei wurden mehrfach vom Kläger angefertigte Fotos verwendet, ohne seine Zustimmung einzuholen. Diese Fotos konnten zusammen mit entsprechenden Rezepten kostenlos unter der Internetadresse http://www.marions-kochbuch.de abgerufen werden, die der Kläger gemeinsam mit seiner Ehefrau betreibt.

Der Kläger wollte der Beklagten insbesondere verbieten lassen, bestimmte von ihm erstellte und unter www.marions-kochbuch.de abrufbare Fotografien ohne seine Erlaubnis auf der Internetseite www.chefkoch.de öffentlich zugänglich zu machen. Zudem machte er Schadensersatzansprüche geltend.

Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden, daß die Bereitstellung der urheberrechtlich geschützten Fotos des Klägers zum Abruf unter der Internetadresse http://www.chefkoch.de dessen ausschließliches Recht auf öffentliche Zugänglichmachung (§ 15 Abs. 2 Nr. 2, § 19a UrhG) verletzt.

Der Rechtsverletzung steht dabei auch nicht entgegen, daß die Fotos bereits zuvor auf der Internetseite des Klägers allgemein abrufbar gewesen sind.
Die Haftung der Beklagten wird zudem auch nicht dadurch beschränkt, daß Diensteanbieter im Falle der Durchleitung und Speicherung fremder Informationen für Rechtsverletzungen nur eingeschränkt haften (vgl. §§ 8 bis 10 TMG).

Denn entscheidend war hier die Feststellung, daß die Beklagte sich die von ihren Nutzern hochgeladenen Inhalte zu eigen gemacht hat und somit für diese Inhalte wie für eigene einstehen muß.
Dies folgte nach Auffassung der Richter aus dem Umstand, daß die Beklagte nach außen sichtbar die inhaltliche Verantwortung für die auf ihrer Internetseite veröffentlichten Rezepte und Abbildungen übernommen hat. Darüber hinaus übte die Beklagte die inhaltliche Kontrolle über die auf ihrer Plattform erscheinenden Rezepte aus, worauf die Nutzer auch hingewiesen wurden.
Schließlich wurden alle Rezepte von der Beklagten mit ihrem Emblen, einer Kochmütze, gekennzeichnet, während der Verfasser des Rezepts lediglich als Aliasname und ohne jede Hervorhebung unter der Zutatenliste erwähnt wird.
Zudem verlangte die Beklagte das Einverständnis ihrer Nutzer, daß sie alle zur Verfügung gestellten Rezepte und Bilder beliebig vervielfältigen und an Dritte weitergeben darf.

Der Bundesgerichtshof hat dem Kläger auch Schadensersatz zugesprochen, weil die Beklagte nicht ausreichend geprüft hat, wem die Rechte an den auf ihrer Plattform erschienenen Fotos zustehen, so daß der Hinweis in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, daß auf ihrer Plattform keine urheberrechtsverletzenden Inhalte geladen werden dürften, insoweit als nicht ausreichend erachtet worden ist.

Der Betreiber der Webseite marions-kochbuch.de und Kläger in diesem Verfahren ist der interessierten Internetgemeinde bereits länger bekannt besonders durch die Versendung zahlreicher Abmahnungen wegen tatsächlicher oder vorgeblicher Urheberrechtsverletzungen durch die unerlaubte Verwendung von Fotos und Bildern.
So hat zuletzt das Oberlandesgericht Hamburg mit Urteil vom 04.02.2009, AZ: 5 U 180/07, in einer ähnlich gelagerten Konstellation noch eine Störerhaftung eines Forenbetreibers verneint und – unter ausdrücklicher Abgrenzung zum hier besprochenen Fall – ausgeführt:
In der dortigen Fallkonstellation hatte der Senat angenommen, daß der Betreiber der Seite „Chefkoch.de“ als fahrlässig handelnder Täter einer Urheberrechtsverletzung auf Unterlassung in Anspruch genommen werden könne, weil er eigene Inhalte im Sinne von § 7 Abs.1 TMG zur Nutzung bereit halte. Diese Wertung beruhte jedoch auf den Besonderheiten der Internetseite „Chefkoch.de“, nämlich der Gestaltung der Seite als „Themenportal“ – wobei dies gerade als grundlegender Unterschied zu Foren und Chatrooms in der Entscheidung herausgestellt worden ist -, der eigenen Kennzeichnung der Rezepte mit Kochmützen durch den Betreiber , der Werbung des Betreibers, daß die Rezepte vor der Freischaltung von ihm selbst überprüft würden und der Rechteübertragung an Rezepten und Bildern auf den Betreiber.

Zusammenfassend lassen sich die Urteile auf folgende Formel bringen: Wer sich durch die Ausgestaltung seiner Seite, seines Forums o. ä. eingestellte Beiträge zu eigen macht, haftet als Störer auf Unterlassung von Urheberrechtsverletzungen. Im übrigen bleibt es bei der bisherigen Rechtsprechung zur Betreiberhaftung, wonach den Betreiber eines Forums bestimmte Prüfungspflichten im Rahmen des Zumutbaren treffen, diese sich jedoch nicht auf eine vorbeugende Prüfung jeglicher einzustellender Inhalte ertrecken. Erst wenn der Forenbetreiber, etwa durch eine Abmahnung, Kenntnis von einem Rechtsverstoß erhält, muß er den betreffenden Beitrag sperren.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 12. November 2009 – I ZR 166/07
Vorinstanzen:
OLG Hamburg – Urteil vom 26. September 2007 – 5 U 165/06
LG Hamburg – Urteil vom 4. August 2006 – 308 O 814/05


Gebrauchtwagenkauf: unzulässige Einschränkung der Garantie

12. November 2009

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte darüber zu entscheiden, ob die Einstandspflicht aus einem Garantievertrag für ein Kraftfahrzeug im Schadensfall davon abhängig gemacht werden kann, dass eine formularmäßig vorgesehene Inspektion beim Verkäufer durchgeführt worden ist und eine Rechnung über die schon erfolgte Reparatur vorgelegt wird.

Der Kläger erwarb von einer Autohändlerin einen zehn Jahre alten Pkw Mercedes Benz C 280 mit einer Fahrleistung von 88.384 km. Die Verkäuferin gewährte dabei auf bestimmte Bauteile eine Garantie, der die Beklagte beitrat. Die Garantiebedingungen erlegen dem Käufer/Garantienehmer umfangreiche „Pflichten“ auf: Unter anderem muss er die vom Hersteller vorgeschriebenen oder empfohlenen Wartungs- oder Pflegearbeiten beim Verkäufer/Garantiegeber durchführen; sofern dies z.B. aus Entfernungsgründen nicht zumutbar ist, hat er vor der Beauftragung einer anderen Werkstatt eine entsprechende „Freigabe“ des Verkäufers/Garantie-gebers einzuholen. Nach § 6 der Garantiebedingungen hat der Käufer eine Reparaturrechnung vorzulegen, aus der die ausgeführten Arbeiten, die Ersatzteilpreise und die Lohnkosten mit Arbeitszeitwerten im Einzelnen ersichtlich sind.

Der Kläger ließ im Dezember 2006 die 100.000-km-Inspektion von einer anderen Reparaturwerkstatt durchführen. Dabei wurde ein Motorschaden festgestellt. Der Kläger hat auf der Grundlage eines Kostenvoranschlags von der Beklagten die Zahlung von 1.077,55 € verlangt. Die Beklagte ist der Auffassung, sie sei von ihrer Leistungspflicht befreit, weil die 90.000 km-Inspektion nicht durchgeführt worden sei. Außerdem entstünden Ansprüche aus der Garantie erst mit der Durchführung der Reparatur und Vorlage der Reparaturrechnung.

Mit der Klage hat der Kläger die Zahlung des geltend gemachten Betrages nebst Zinsen begehrt. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht der Klage in Höhe von 1.000 € – des Höchstbetrags der Garantie für Fahrzeuge dieses Alters – nebst Zinsen stattgegeben. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Beklagte aus der übernommenen Garantie haftet. Die Beklagte ist nicht deswegen von ihrer Zahlungspflicht befreit, weil der Kläger die vom Hersteller vorgesehene 90.000-km-Inspektion nicht hat durchführen lassen; denn die von der Beklagten verwendete Inspektionsklausel ist wegen unangemessener Benachteiligung der Garantienehmer gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Dem Käufer/Garantienehmer ist es in vielen Fällen nicht zumutbar, das gekaufte Fahrzeug in der Werkstatt des Verkäufers warten zu lassen. Dem trägt die Klausel nicht angemessen Rechnung, weil sie dem Käufer insoweit lediglich die Möglichkeit einräumt, die Inspektion nach vorheriger Genehmigung („Freigabe“) des Verkäufers in einer anderen Werkstatt durchführen zu lassen, ohne dass hierfür ein Bedürfnis auf Seiten des Verkäufers/Garantiegebers ersichtlich ist.

Gleichfalls nach § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist § 6 der Garantiebedingungen in der von der Beklagten bevorzugten – kundenfeindlichsten – Auslegung, dass der Verkäufer/Garantiegeber zu Leistungen aus der Garantie erst nach Vorlage der Reparaturrechnung verpflichtet ist. Durch eine in diesem Sinne verstandene Klausel würde der Käufer/Garantienehmer in mehrfacher Hinsicht unangemessen benachteiligt. Zum einen müsste er die Reparatur vorfinanzieren und könnte deshalb, soweit er dazu nicht in der Lage ist, von der Beklagten überhaupt keinen Ersatz erlangen. Ferner müsste der Käufer/Garantienehmer, um die Garantieleistung zu erhalten, unter Umständen eine Reparatur durchführen, die unwirtschaftlich ist, weil die Reparaturkosten den Höchstbetrag der Kostenerstattung gemäß § 5 der Garantiebedingungen (hier: 1.000 €) oder sogar den Wert des Fahrzeugs deutlich übersteigen. Die in den Garantiebedingungen versprochene Funktionsgarantie für bestimmte Fahrzeugteile würde damit für den Käufer unter Umständen weitgehend wertlos.

Urteil vom 14. Oktober 2009 – VIII ZR 354/08

AG Hannover – Urteil vom 17. Oktober 2007 – 533 C 4591/07

LG Hannover – Urteil vom 2. Mai 2008 – 13 S 85/07


MietR: Kosten der Öltankreinigung – Betriebskosten oder Instandhaltung ?

12. November 2009

Der Bundesgerichtshof hat sich jüngst wieder mit dem „Dauerbrenner“ Betriebskosten beschäftigt und entschieden, daß die Kosten für die Reinigung des zur Heizungsanlage gehörenden Öltanks zu den umlagefähigen Betriebskosten zu rechnen sind.

Vorliegend war Kläger der Mieter, der von seinem Vermieter die Rückzahlung von Betriebskostenvorauszahlungen für die Abrechnungsjahre 2003 bis 2006 begehrte, weil die darin enthaltenen (anteiligen) Kosten für die Reinigung des Öltanks nicht zu den umlagefähigen Betriebskosten, sondern vielmehr zu den (nicht umlagefähigen) Kosten der Instandhaltung gehörten und somit ohne Rechtsgrund gezahlt worden seien.

Zu den Begrifflichkeiten: Die Betriebskosten umfassen laut § 2 Nr. 4 Buchst. a BetrKV ausdrücklich die Kosten des Betriebs der zentralen Heizungsanlage, wozu unproblematisch auch der Brennstofftank gehört.

Zur Konkretisierung des Begriffs der Instandhaltung wiederum kann zunächst die DIN-Norm DIN 31051 herangezogen werden, die die Instandhaltung in die vier Grundmaßnahmen
1. Wartung (= Maßnahmen zur Verzögerung des Abbaus des vorhandenen Abnutzungsvorrats)
2. Inspektion (= Maßnahmen zur Feststellung und Beurteilung des Istzustandes)
3. Instandsetzung (= Reparatur)
4. Verbesserung
einteilt.

Der BGH ist nun abermals der von einem Teil der Instanzgerichte (sowie zum Teil im Schrifttum) vertretenen abweichenden Auffassung entgegengetreten, wonach es sich bei den Reinigungskosten für die Ölanlage um– nicht umlagefähige – Instandhaltungskosten handele und hat den Bedeutungsgehalt des Begriffs der Instandsetzung konkretisierend klargestellt:

Danach werden Kosten der Instandsetzung und Instandhaltung durch Reparatur und Wiederbeschaffung verursacht oder müssen zur Erhaltung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs aufgewendet werden, um die durch Abnutzung, Alterung oder Witterungseinwirkung entstehenden baulichen Mängel ordnungsgemäß zu beseitigen; sie betreffen deshalb Mängel an der Substanz der Immobilie oder ihrer Teile.

Die von Zeit zu Zeit erforderlich werdende Reinigung des Öltanks dient dagegen nicht der Vorbeugung oder der Beseitigung von Mängeln an der Substanz der Heizungsanlage, sondern der Aufrechterhaltung ihrer Funktionsfähigkeit und stellt damit keine Instandhaltungsmaßnahme dar.

Ferner handelt es sich auch – wie nach § 2 Nr. 4 Buchst. a BetrKV erforderlich – um „laufend entstehende“ Kosten, auch wenn Tankreinigungen nur in Abständen von mehreren Jahren durchgeführt werden; ein solcher mehrjähriger Turnus reicht aus, um die wiederkehrenden Belastungen als laufend entstehende Kosten anzusehen.

Der Senat hat weiterhin entschieden, daß der Vermieter nicht verpflichtet ist, die jeweils nur im Abstand von mehreren Jahren anfallenden Tankreinigungskosten auf mehrere Abrechnungsperioden aufzuteilen. Die Kosten dürfen vielmehr – analog den Kosten für die im etwa vierjährigen Turnus erfolgende Überprüfung einer Elektroanlage (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 2007 – VIII ZR 123/06) – grundsätzlich in dem Abrechnungszeitraum umgelegt werden, in dem sie entstehen.

Vorliegend hätte der Kläger sich den Rechtsstreit und alle damit verbundenen Mühen und Kosten sparen können: Denn bereits in der vorgenannten Entscheidung vom 14. Februar 2007 – VIII ZR 123/06 hat der BGH die Unterschiede zwischen Betriebskosten und Instandhaltungskosten spezifiert, so daß eine saubere Subsumtion unter die dort aufgestellten Grundsätze das nun vorliegende Urteil im Ergebnis vorweggenommen hätte.
Zudem ist der Wortlaut von § 2 Nr. 4 Buchst. a BetrKV recht eindeutig: Zu den Betriebskosten gehören u. a. auch die Kosten für die „Reinigung der Anlage“.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 11. November 2009 – VIII ZR 221/08
Vorinstanzen:
AG Wiesloch – Urteil vom 1. Februar 2008 – 2 C 39/07
LG Heidelberg – Urteil vom 18. Juli 2008 – 5 S 14/08


Kartenverlust: Beweisvereitelung durch Bank

11. November 2009

Bei Barabhebungen mit der Karte am Geldautomaten geht die Rechtsprechung im Wege des Anscheinsbeweises regelmäßig davon aus, daß der Karteninhaber entweder selbt das Geld abgehoben hat, einem Dritten die Nutzung der Karte erlaubt oder pflichtwidrig die Karte zusammen mit der Geheimnummer aufbewahrt und so einem Dritten die Nutzung schuldhaft ermöglicht hat.
Bei Verlust der Karte wird zusätzlich vermutet, daß zugleich die Geheimnummer mit entwendet wurde, weil der Kunde sie fahrlässig zusammen mit der Karte aufbewahrt oder die Geheimnummer auf der Karte notiert hat (vgl. etwa OLG Brandenburg vom 07.03.2007, 13 U 69/06, OLG Karlsruhe vom 06.05.2008, 17 U 170/07, BGH vom 05.10.2004, XI ZR 210/03).

In einer jüngst vom Amtsgericht Potsdam entschiedenen Konstellation wurden mit der Karte eines Kunden 500 Euro am Automaten abgehoben. Der Kunde hatte geltend gemacht, daß er zwar die Karte, nicht aber die zugehörige Geheimnummer erhalten, mithin auch die Karte nie genutzt habe und die Bank doch bitte die Videoaufzeichnungen vom Abhebungsvorgang prüfen möge.
Dies war jedoch nicht mehr möglich, weil die Bank die Videoaufzeichnungen zwischenzeitlich gelöscht hatte.

Damit aber, so das Amtsgericht, habe das Bankinstitut dem Kunden faktisch die Möglichkeit genommen, den Anscheinsbeweis zu erschüttern. Nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung hat das Gericht der Bank konsequenterweise verboten, den abgehobenen Betrag dem Konto des Kunden zu belasten.

Urteil des Amtsgerichts Potsdam vom 20.7.2009, AZ: 20 C 338/08


Unwirksame Preisanpassungsklauseln in Gas-Sonderverträgen

29. Oktober 2009

Der Bundesgerichtshof hat sich erneut mit einer Klage von Kunden eines Gasversorgers gegen Preiserhöhungen beschäftigt und die in den AGB enthaltenen sogenannten Preisanpassungsklauseln wegen unangemessener Benachteiligung der Kunden wie bereits die Vorinstanzen als unwirksam bestätigt.

Die vorliegende Entscheidung reiht sich konsequent in die bereits mit Urteil des BGH vom 15. Juli 2009 (AZ: VIII ZR 225/07, siehe Besprechung hierzu hier) präzisierte Rechtsprechung zur AGB-Kontrolle von Gaslieferverträgen.

Die Parteien stritten um die Wirksamkeit von Gaspreiserhöhungen, die von der Beklagten, einem regionalen Energieversorgungsunternehmen in Norddeutschland, einseitig vorgenommen wurden. Die Kläger sind Sondervertragskunden, die zu einem gegenüber dem Grundversorgungstarif des Unternehmens günstigeren Tarif für die Vollversorgung von Haushaltskunden („s. Erdgas basis plus“) beliefert werden. Grundlage der vertraglichen Beziehungen zwischen den Parteien sind vorformulierte Verträge verschiedener Fassungen. In den Verträgen heißt es unter anderem:

Fassung A (Vertragsschluss 1990 bis 1996):

„4. Preisänderungsbestimmungen

Die oben benannten Ausgangsgrundpreise gelten bei einem Monatstabellenlohn von 2.674,54 DM (Stand 1.3.1984). …

Der obige Ausgangsarbeitspreis gilt bei einem Preis für extra leichtes Heizöl von 64,39 DM/100 l ohne Steuer (Stand 1.4.1984). …

Für den Lohn und für das Heizöl gelten jeweils die von dem Vorlieferanten der S. [Rechtsvorgängerin der Beklagten] in Ansatz gebrachten Werte. Bei einer Änderung des Lohnes oder der Lohnbasis und der Preise für Heizöl behalten sich die S. [Rechtsvorgängerin der Beklagten] eine entsprechende Anpassung der Gaspreise vor. Der Messpreis ist hiervon ausgenommen.

Die Preise werden jeweils zum 1.04. und 1.10. eines jeden Jahres überprüft. Preisänderungen werden dem Kunden durch individuelle Rundschreiben oder durch Veröffentlichung in der Presse bekannt gegeben.

…“

Fassung B (Vertragsschluss 1997 bis 2001):

„4. Preisänderungsbestimmungen

Die S. [Rechtsvorgängerin der Beklagten] sind berechtigt, die vorgenannten Preise im gleichen Umfang wie ihr Vorlieferant an die Lohnkosten- und die Heizölpreisentwicklung anzupassen.

…“

Fassung C (Vertragsschluss ab 2002):

„§ 3 Preisänderungsbestimmungen

Die s. [Beklagte] ist berechtigt, die genannten Preise im gleichen Umfang wie ihre Vorlieferanten an die Lohnkosten- und die Heizölentwicklung anzupassen. Bei einer Änderung der Preisänderungsklausel oder sonstiger Bestimmungen in den Erdgasbezugsverträgen kann die s. [Beklagte] auch für diesen Vertrag eine entsprechende Anpassung verlangen.

…“

Das beklagte Unternehmen erhöhte den Arbeitspreis Erdgas zum 1. Oktober 2004, zum 1. Januar 2005, zum 1. Oktober 2005 und zum 1. Januar 2006. Die Kläger widersprachen den Preiserhöhungen. Mit ihrer Klage haben sie die Feststellung begehrt, dass die Preiserhöhungen unbillig und unwirksam sind. Das Landgericht Bremen hat der Klage stattgegeben. Das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die umstrittenen Gaspreiserhöhungen unwirksam sind, weil die Preisanpassungsklauseln in den Formularverträgen einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht standhalten und deshalb kein Recht des Gasversorgers zur einseitigen Änderung des Gaspreises besteht. Die Preisanpassungsklauseln benachteiligen die Kunden entgegen den Geboten von Treu und Glauben jedenfalls deshalb unangemessen, weil sie nur das Recht des Versorgers vorsehen, Änderungen der Gasbezugskosten an die Kunden weiterzugeben, nicht aber die Verpflichtung, bei gesunkenen Gestehungskosten den Preis zu senken.

Eine Preisanpassungsklausel muss jedoch das vertragliche Äquivalenzverhältnis wahren und darf dem Verwender nicht die Möglichkeit geben, über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen (vgl. dazu auch die Urteile des Bundesgerichtshofs vom 29. April 2008 – KZR 2/07, Pressemitteilung Nr. 86/2008, vom 21. April 2009 – XI ZR 78/08, Pressemitteilung Nr. 81/2009, und vom 15. Juli 2009 – VIII ZR 225/07 und VIII ZR 56/08, Pressemitteilungen Nr. 152 und 153/2009).

Die von dem beklagten Unternehmen verwendeten Formulierungen („behalten sich … vor“, „sind berechtigt“) lassen zumindest eine Auslegung zu, nach der das Unternehmen zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet ist, nach gleichlaufenden Maßstäben zu bestimmten Zeitpunkten eine Preisanpassung nach unten vorzunehmen, wenn die Gasbezugskosten seit Vertragsschluss oder seit der letzten Preisanpassung gesunken sind. Damit hat das Unternehmen die Möglichkeit, durch die Wahl des Preisanpassungstermins erhöhten Bezugskosten umgehend, niedrigeren Bezugskosten jedoch nicht oder erst mit zeitlicher Verzögerung durch eine Preisänderung Rechnung zu tragen.

Das Versorgungsunternehmen war auch nicht nach der – im Zeitpunkt der umstrittenen Preiserhöhungen noch geltenden – Regelung des § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV (jetzt: § 5 Abs. 2 GasGVV) zur Preisänderung berechtigt. Diese Vorschrift, die ein gesetzliches Preisänderungsrecht des Versorgungsunternehmens begründet, ist nur auf die Versorgung von Tarifkunden (jetzt: Grundversorgungskunden) unmittelbar anwendbar. Bei den Klägern handelt es sich aber jeweils um Sondervertragskunden, nicht um Tarifkunden.

Als Sondervertragskunde gilt im Grunde jeder, der Gas sowohl zum Heizen als auch zum Kochen bezieht. Da dies auf die Mehrheit der Gaskunden in Deutschland zutrifft, kommt dem Urteil eine weitreichende Wirkung zu.
Zu der Frage der Rückerstattung hat das Gericht jedoch nur insoweit Stellung genommen, als daß es einen Rückforderungsanspruch ausdrücklich nur für die Kunden ausgesprochen hat, die der Preiserhöhung widersprochen haben, wohingegen die andern quasi leer ausgehen.
Es kann daher nur empfohlen werden, sofern die jeweiligen AGB eine nach den Maßstäben der Rechtsprechung unwirksame Preisanpassungsklausel enthalten, jeder Preiserhöhung „vorsorglich“ zu widersprechen oder etwa alle (Abschlags)Zahlungen mit dem Zusatz „unter Vorbehalt“ zu versehen.

BGH, Urteil vom 28. Oktober 2009 – VIII ZR 320/07
Vorinstanzen:
LG Bremen – Entscheidung vom 24. Mai 2006 – 8 O 1065/05
OLG Bremen – Entscheidung vom 16. November 2007 – 5 U 42/06


Streit über Verkehrsverstoß auf dem Arbeitsweg nicht unfallversichert

13. Oktober 2009

Das Landessozialgericht hatte einen Fall zu entscheiden, bei dem ein Arbeitnehmer auf dem Weg von der Arbeit nach Hause wegen eines Verkehrsverstoßes einen Autofahrer zur Rede gestellt hatte.

Der Radfahrer wurde auf dem Nach­auseweg in der Kölner Innenstadt von einem PKW-Fahrer in einer Tempo-30-Zone nach seiner Ansicht mehrfach geschnitten. Er stellte sich daraufhin vor einer Ampel dem Pkw in den Weg und hinderte ihn an der Weiterfahrt, um den Fahrer zur Rede zu stellen. Als Fahrer und Beifahrer ausstiegen, setzte sich der PKW – offenbar versehentlich – in Bewegung und brach dem Kläger das Waden- und Schienbein, so daß er stationär im Krankenhaus behandelt werden mußte.

Nach Auffassung der Richter ist das Verhalten des Radfahrers und die im vorliegenden Fall damit verbundenen Folgen nicht mehr von der gesetzlichen Unfallversicherung für Wegeunfälle gemäß § 8 Absatz II SGB VII gedeckt, weil er seinen versicherten Heimweg von der Arbeit mehr als nur geringfügig unterbrochen und eigenwirtschaftliche Interessen verfolgt habe.

Eine versicherte Unterbrechung des unmittelbaren Weges von der Arbeit nach Hause sieht das Gesetz ausdrücklich und grundsätzlich nur für den Fall vor, daß der Arbeitnehmer

  • sein Kind wegen seiner oder wegen der Berufstätigkeit der Ehefrau fremder Obhut anvertraut hat (Fahrt zur Kindertagesstätte oder Tagesmutter) oder
  • um weitere mitbeförderte Personen für die Bildung einer Fahrgemeinschaft abzuholen.

Ansonsten tritt der Versicherungsschutz durch die Unfallversicherung der Berufsgenossenschaft außer Kraft, wenn der Arbeitsweg aus anderen Gründen unterbrochen wird, wobei ein Wiederaufleben des Versicherungsschutzes bei einer Wiederaufnahme des Weges binnen zwei Stunden möglich ist.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und möglicherweise wird sich noch das Bundessozialgericht mit der (häufigen) Streitfrage der Unterbrechung des Arbeitsweges beschäftigen, denn  die vorliegende Konstellation ließe sich sicherlich auch anders beurteilen:  Eine räumliche Unterbrechung, das heißt ein Abweichen vom direkten Weg, liegt nicht vor und auch die zeitliche Unterbrechung kann durchaus noch als geringfügig angesehen werden. Zudem dürfte zu berücksichtigen sein, daß sich in dem Unfall letztlich ein wegetypisches Risiko verwirklicht hat, so daß  der Hinweis auf „eigenwirtschaftliche“ Interessen des Arbeitnehmers die Sach- und Rechtslage nicht angemessen widerspiegelt.

Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. 09. 2009 ‑ S 5 U 298/08
Vorinstanz Sozial­gericht Köln, Urteil vom 24.10.2008 ‑ L 18 U 9/ 08


Zahlungsverzug in freiwilliger Arbeitslosenversicherung nach § 28 a SGB III

8. Oktober 2009

Vorsicht bei der freiwilligen Arbeitslosenversicherung nach § 28 a SGB III für Selbständige (Gewerbetreibende, Freiberufler wie etwa Rechtsanwälte, Ärzte, Architekten, Unternehmensberater und Künstler, GbR-Gesellschafter, GmbH-Geschäftsführer oder auch Limited-Direktoren):
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat mit Urteil vom 5. Oktober 2009 entschieden bzw. bestätigt, daß bei einem Zahlungsverzug von drei Monaten mit den Beiträgen zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung automatisch das Versicherungsverhältnis endet und damit auch der Versicherungsschutz für den Fall, daß Arbeitslosigkeit tatsächlich eintritt, ohne daß die Bundesagentur für Arbeit die ausstehenden Beiträge vorher gesondert anmahnen müßte.

Zwar sehen die internen Verwaltungsvorschriften der Bundesagentur den Versand einer solchen Mahnung vor; unterbleibt eine solche, hat das auf die in § 28 a Absatz II Nr. 3 SGB III vorgesehen Folge gleichwohl keinen Einfluß: der Versicherungsschutz endet.

Das auf den Wortlaut des Gesetzes gestützte Urteil ist aus Sicht der Arbeitsagentur günstig, besteht doch an der freiwilligen Arbeitslosenversicherung aus ihrer Sicht auch angesichts der relativ niedrigen Beiträge, die das tatsächliche Versicherungsrisiko nicht abbilden dürften, ohnehin kein großes Interesse.

Mehr zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung läßt sich zum Beispiel bei den Hinweisen der Arbeitsagentur (pdf) oder natürlich auch beim Rechtsanwalt in Erfahrung bringen.

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05.10.2009, 19 AL 74/08
Vorinstanz: Sozialgericht Köln; Urteil vom 31.10.2008, S 24 AL 91/07


Betrunken auf dem Fahrrad: Fahrradverbot ?

5. Oktober 2009

Das Oberverwaltungsgericht Koblenz hat entschieden, daß einem Fahrradfahrer, der keinen Führerschein besitzt, das Radfahren nicht (ohne weiteres) verboten werden darf.

Ein rund 60 Jahre alter und bisher unbescholtener Radfahrer war im Dezember 2008 einer nächtlichen Polizeistreife aufgefallen, wie er mit seinem Fahrrad (auf dem Radweg) in Schlangenlinien fuhr. Eine durchgeführte Alkoholkontrolle ergab den ansehnlichen Wert von 2,33 Promille.

Durch das Amtsgerichts wurde der Radfahrer wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Vekehr zu einer Geldstrafe in Höhe von 400,00 € verurteilt. Zusätzlich wurde er von der zuständigen Verkehrsbehörde aufgefordert, ein medizinisch-psychologisches Gutachten über seine Fahreignung vorzulegen.
Dies wurde von dem Radfahrer verweigert, woraufhin ihm die Behörde das Führen von Fahrrädern (!) verbot.

Das Oberverwaltungsgericht hat nun diese Entscheidung wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aufgehoben und ausgeführt, daß zwar auch eine Alkoholfahrt mit dem Fahrrad Zweifel an der Eignung zum Radfahren begründen können.
Andererseits hat das Gericht die Besonderheiten bei erlaubnisfrei zu führenden Fahrzeugen herausgestellt, deren Benutzung im öffentlichen Straßenverkehr in den „Kernbereich der grundrechtlich gewährleisteten allgemeinen Handlungsfreiheit“ (= jeder kann tun und lassen was er will) fällt.

Hinzu kommt, daß das Gefährdungspotential durch (betrunkene) Radfahrer regelmäßig erheblich niedriger ist als bei Kraftfahrzeugen, und die Verursachung schwerer Verkehrsunfälle durch betrunkene Radfahrer die Ausnahme ist, so daß ein Fahrradverbot nach Auffassung des Gerichts nur dann in Betracht kommt, wenn die Gefährdung des öffentlichen Straßenverkehrs durch den alkoholisierten Radfahrer aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls mit den Risiken des Kraftfahrzeugverkehrs vergleichbar ist.

Besondere Anhaltspunkte für ein erhöhtes Gefährdungspotential hat das Gericht im vorliegenden Fall indes nicht gesehen, weil der Delinquent bisher nicht auffällig geworden ist, bei seiner Trunkenheitsfahrt den Radweg benutzt und andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet hat, so daß es im Ergebnis das Fahrradverbot durch die Behörde richtigerweise verworfen hat.

Oberverwaltungsgericht Koblenz, Beschluss vom 25. September 2009, AZ: 10 B 10930/09.OVG


Trittschall in Altbauwohnung als Mangel der Mietsache ?

2. Oktober 2009

Vorab zur Erläuterung: der Trittschall ist dasjenige Geräusch, das in der unten liegenden Wohnung zu vernehmen ist, der Gehschall wiederum ist das Geräusch, das im begangenen Raum selbst zu hören ist.

Ein zur Mietminderung berechtigender Mangel der Mietsache schließlich ist eine für den Mieter nachteilige Abweichung des tatsächlichen Zustandes der Wohnung vom vertraglich vorausgesetzten Zustand.
Maßgeblich sind daher zunächst in erster Linie die Vereinbarungen zwischen Mieter und Vermieter.
Fehlen ausdrückliche Vereinbarungen zur Beschaffenheit der Mietsache, so schuldet der Vermieter jedenfalls die Einhaltung der maßgeblichen technischen Normen, wobei nach der Verkehrsanschauung grundsätzlich der bei der Errichtung des Gebäudes geltende Maßstab anzulegen ist.

So darf etwa von den Räumen einer Mietwohnung keine gesundheitsschädigende Wirkung ausgehen und bestimmte bauliche Mindestanforderungen etwa hinsichtlich Isolierung und Dämmung müssen gewährleistet sein.

Solche baulichen und als DIN-Normen präzisierten baulichen Mindestanforderungen ändern sich jedoch mit der Zeit und so hat der Bundesgerichtshof entschieden, daß eine Mietwohnung in einem Altbau, mangels abweichender ausdrücklicher vertraglicher Vereinbarung, keinen Mangel aufweist, wenn die Dämmung des Trittschalls den zur Zeit der Errichtung des Gebäudes geltenden DIN-Normen entspricht und nicht heutigen Standards (DIN-Norm 4109 für Schallschutz).

Dies soll auch dann gelten, wenn während der Mietzeit in der Wohnung darüber der Fußbodenbelag ausgetauscht wird und sich dadurch der Schallschutz gegenüber dem Zustand bei Anmietung der Wohnung verschlechtert, sofern mindestens die schallschutztechnischen Standards der zum Zeitpunkt der Erbauung des Gebäudes geltenden DIN-Norm eingehalten werden.

Wenn der Vermieter jedoch bauliche Veränderungen am Haus durchführt, die zu Lärmimmissionen führen, kann er verpflichtet sein, die zur Zeit des Umbaus geltenden DIN-Normen einzuhalten, vgl. auch BGH-Urteil vom 6. 10. 2004, VIII ZR 355/ 03 (für einen Dachgeschoßausbau).

In der vorliegend entschiedenen Konstellation war jedoch lediglich ein Bodenbelag ausgetauscht worden, der nach den Feststellungen des Gerichts von der Intensität des Eingriffs in die Gebäudesubstanz her nicht so wesentlich war, daß von einem baulichen Umbau gesprochen werden könne, zumal der darunter liegende Estrich und die Geschossdecke unverändert geblieben sind.
Es handelte sich also ausschließlich um solche Arbeiten, die aufgrund der Abnutzung des Fußbodens zum Zwecke der Instandhaltung von Zeit zu Zeit erforderlich sind, ohne daß damit eine Veränderung oder Modernisierung des Gebäudes als solchem einhergeht.

Und wenn das Haus im Zeitpunkt der Begründung des Mietverhältnisses tatsächlich einen schallschutztechnischen Standard aufweist, der höher ist, als der Mieter es nach den maßgeblichen technischen Normen (zum Zeipunkt der Erbauung des Hauses) vom Vermieter verlangen kann, kann der Mieter im Allgemeinen nicht davon ausgehen, daß der Vermieter ihm gegenüber dafür einstehen will, daß dieser Zustand während der gesamten Dauer des Mietverhältnisses erhalten bleibt. Hierfür ist nach Auffassung des Gerichts nur Raum, wenn eine dahingehende konkrete Absprache zwischen Mieter und Vermieter vorliegt.

Die Entscheidung ist konsequent, weil Hausbesitzern bereits aus wirtschaftlichen Gründen schlechterdings nicht zugemutet werden kann, alle gestiegenen Anforderungen der einschlägigen DIN-Normen durch stetige Modernisierungen zu erfüllen.
Insofern ist das Urteil auch eine indirekte Präzisierung des aus dem Eigentumsrecht gem. Art. 14 Grundgesetz resultierenden Bestandsschutzes für Alt-Gebäude.

Gleichwohl müssen auch Altbauten einen zum vertragsgemäßen Gebrauch (= Wohnen) geeigneten Mindestzustand aufweisen, der ein zeitgemäßes Wohnen ermöglicht und alle mit der Haushaltsführung üblicherweise verbundenen Tätigkeiten unter Einsatz technischer Hilfsmittel erlaubt, vgl. BGH-Urteil vom 26. 7. 2004 – VIII ZR 281/ 03, über die Verpflichtung des Vermieters zur Modernisierung der Elektroeinrichtungen; das Verlangen des Mieters, gleichzeitig die Knack-Geräusche des Parkettbodens zu beseitigen, wurde jedoch abgelehnt, weil dies vom Mieter einer Altbauwohnung bekanntlich hinzunehmen sei.


Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. Juni 2009 – VIII ZR 131/08
Vorinstanzen:
AG Oberhausen, Entscheidung vom 28.03.2006 – 32 C 1298/05
LG Duisburg, Entscheidung vom 15.04.2008 – 13 S 128/06


Anspruch gegen den Vermieter auf Erteilung einer „Mietschuldenfreiheitsbescheinigung“?

1. Oktober 2009

Es gibt Vermieter, die zur Beurteilung der Bonität von Bewerbern die Vorlage einer „Mietschuldenfreiheitsbescheinigung“ verlangen, mit der der vorherige Vermieter bestätigt, daß der Mieter keine Außenstände aus Mieten oder anderen Nebenkosten hat.

Doch was ist zu tun, wenn der alte Vermieter eine solche Bescheinigung nicht ausstellen will, gibt es einen klagbaren Anspruch auf Erteilung einer solchen „Mietschuldenfreiheitsbescheinigung“ ?

Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden, daß Mieter grundsätzlich keinen Anspruch auf Erteilung einer solchen Bestätigung durch den alten Vermieter haben.
Sofern im Mietvertrag dazu nichts vereinbart ist, könnte ein solcher Anspruch allenfalls auf eine (ungeschriebene) vertragliche Nebenpflicht entsprechend § 241 Absatz 2 BGB gestützt werden. Nach dieser Vorschrift ist jeder Vertragspartner verpflichtet, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils Rücksicht zu nehmen.

Eine solche Verpflichtung zur Auskunft über das Bestehen oder Nichtbestehen von Mietschulden würde nach Auffassung des BGH allerdings voraussetzen, daß der Mieter über Art und Umfang seiner Mietverbindlichkeiten im Ungewissen ist, woran es sowohl im konkreten Fall als auch regelmäßig darüber hinaus fehlen dürfte, weil der Mieter unter Zuhilfenahme eigener Zahlungsbelege sowie der von dem Vermieter gemäß § 368 BGB geschuldeten und erteilten Quittungen über die von dem Mieter geleisteten Zahlungen ohne weiteres feststellen kann, ob alle mietvertraglich geschuldeten Zahlungen geleistet sind, und auch in der Lage ist, die Erfüllung seiner aus dem Mietvertrag folgenden Zahlungsverpflichtungen zu belegen.

Zudem weist das Gericht darauf hin, daß die Abgabe einer in ihren Wirkungen unter Umständen weiter reichenden Erklärung einem Vermieter schon wegen einer möglichen Gefährdung eigener Rechtspositionen nicht zugemutet werden könne, weil es nicht fern liegend sei, daß eine solche Bescheinigung auch als Ausgleichsquittung angesehen werden könnte, mit der der Vermieter auf alle eventuell noch bestehenden Ansprüche gegen den Mieter verzichtet, oder daß darin ein „Zeugnis gegen sich selbst“ liegt, das für ihn beweisrechtlich nachteilig wäre, falls nachträglich noch Streit über den Bestand oder die Erfüllung von Mietforderungen entstehen sollte.

Auch eine Verpflichtung des Vermieters zur Ausstellung einer Mietschuldenfreiheitsbescheinigung auf Grund einer entsprechenden Verkehrssitte hat das Gericht verneint:
Der Mieter (und Kläger) aus Dresden hatte geltend gemacht, daß ein Vermieter in Dresden mit einem Bestand von 42.000 Wohnungen von jedem neuen Mietinteressenten die Beibringung einer „Mietschuldenfreiheitsbescheinigung“ verlange, was für die Annahme einer solchen allgemeinen Verkehrssitte spreche.
Eine Verkehrssitte, die über das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme Eingang in das Vertragsverhältnis finden könnte, setzt nach Ansicht des BGH jedoch voraus, daß sich innerhalb aller beteiligten Kreise (also hier der ‚Wohnungsmarkt‘), und nicht nur ein Teil dieses Marktes, wenn er auch für sich genommen quantitativ erheblich ist, dazu eine einheitliche Praxis durchgesetzt hat, was die Tatsachengerichte bereits zuvor verneint hatten.

Während das letztere Argument der ‚Verkehrssitte‘ sicherlich auch anders gesehen werden kann, ist der Hinweis auf die Gefährdung eigener Rechtspositionen durchaus überzeugend.
Vermieter, die eine solche Bescheinigung verlangen, sollten auf diese Rechtsprechung hingewiesen werden, denn etwas, worauf der Mieter keinen Anspruch hat, kann man auch schlechterdings nicht von ihm verlangen.

Damit dürfte auch die nach Angaben von Mietervereinigungen sogar im belegungsgebundenen sozialen Wohnungsbau verbreitete Praxis, von potentiellen Mietern solche „Persilscheine“ zu verlangen, der Boden entzogen sein, so daß auch Mieter, die (auch unverschuldet) tatsächlich noch Mietschulden haben, dennoch eine neue Wohnung bekommen können.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 30. September 2009 – VIII ZR 238/08
Vorinstanzen:
AG Dippoldiswalde – Urteil vom 10. Januar 2008 – 2 C 0686/07
LG Dresden – Urteil vom 29. Juli 2008 – 4 S 97/08


Verbraucherbegriff gem. § 13 BGB bei natürlichen Personen, die auch selbständig freiberuflich tätig sind

1. Oktober 2009

Der Bundesgerichtshof hat zu der Frage Stellung genommen, wann und unter welchen Voraussetzungen eine natürliche Person, die als Verbraucher und als selbständiger Freiberufler am Rechtsverkehr teilnimmt, als Verbraucher im Sinne von § 13 BGB einzustufen ist und wann nicht.

Diese Frage ist für die Anwendbarkeit des Verbraucherwiderrufsrecht gemäß § 355 Absatz 1 BGB vor allem bei Haustürgeschäften, § 312 BGB und bei Fernabsatzverträgen, §§ 312 b Absatz 1 BGB, 312 d Absatz 1 BGB, von Bedeutung.

In der nun dem Bundesgerichtshof vorgelegten Konstellation hatte eine Rechtsanwältin am 7. Oktober 2007 über eine Internetplattform drei Lampen zu einem Gesamtpreis von rund 770 € bestellt.
Als Liefer- und Rechnungsanschrift gab sie ihren Namen (ohne Berufsbezeichnung) und die Anschrift „Kanzlei Dr. B.“ an.
Am 19. November 2007 schließlich erklärte die Anwältin gegenüber dem Verkäufer den Widerruf ihrer Vertragserklärung und teilte ihm zur weiteren Begründung mit, daß die Lampen für die private Verwendung bestimmt gewesen seien und ihr deshalb ein Widerrufsrecht nach den Vorschriften über Fernabgesatzgeschäfte zustehe, über das sie nicht ordnungsgemäß belehrt worden sei.

Der Verkäufer verweigerte die Rückabwicklung des Vertrages gemäß § 357 BGB mit der Begründung, daß die Käuferin als Freiberuflerin und nicht als Verbraucherin gehandelt habe, so daß ihr ein Widerrufsrecht nicht zustehe, was sich auch aus der Angabe der Kanzleianschrift als Rechungs- und Lieferadresse ergebe.

Der BGH hat der Klage der Anwältin auf Rückzahlung des Kaufpreises, der das Amtsgericht zunächst stattgegeben, die das Berufungsgericht jedoch abgewiesen hatte, nun endgültig im Wege der Revision stattgegeben und ausgeführt, daß eine natürlich Person, die sowohl als Verbraucher (§ 13 BGB) als auch als Unternehmer (§ 14 BGB) am Rechtsverkehr teilnimmt, im jeweiligen konkreten Einzelfall nur dann nicht als Verbraucher anzusehen ist,

wenn dieses Handeln eindeutig und zweifelsfrei ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit zugeordnet werden kann.
Dies ist zum einen dann der Fall, wenn das in Rede stehende Rechtsgeschäft objektiv in Ausübung der gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit der natürlichen Person abgeschlossen wird (§ 14 BGB).

Darüber hinaus ist rechtsgeschäftliches Handeln nur dann der unternehmerischen Tätigkeit der natürlichen Person zuzuordnen, wenn sie dies ihrem Vertragspartner durch ihr Verhalten unter den konkreten Umständen des Einzelfalls zweifelsfrei zu erkennen gegeben hat.

Nach dem vorstehendem Grundsatz ist der Kauf der Lampen als Verbrauchergeschäft einzustufen, woran auch die Angabe der Kanzleianschrift als Liefer- und Rechnungsanschrift nichts ändert, weil allein aus diesem Umstand noch nicht abzuleiten ist, daß der Kauf der freiberuflichen Tätigkeit zuzuordnen ist, schließlich könnte auch eine in der Kanzlei angestellte Sekretärin diese Anschrift angeben, weil sie dort tagsüber regelmäßig erreichbar ist und für sie bestimmte Sendungen entgegennehmen kann.

Der BGH hat die Auslegungsregeln zur Feststellung der Verbraucher- bzw. Unternehmereigenschaft insoweit konkretisiert und der teilweise vertretenen Auffassung, bei „dual use“, also der Verwendbarkeit des Vertragsgegenstandes sowohl für die private als auch die unternehmerische Tätigkeit, sei im Zweifel die Unternehmereigenschaft anzunehmen, eine Absage erteilt.
Der innere Wille des Käufers ist hingegen zu Recht unbeachtlich, entscheidend ist vielmehr, welcher Sphäre das Rechtsgeschäft im Wege einer ex ante Beurteilung zuzuordnen ist, wobei im Zweifel der Verkäufer die konkreten objektiven Umstände, aus denen sich zweifelsfrei ergeben muß, daß das Rechtsgeschäft der unternehmerischen Tätigkeit dienen soll, darlegen und beweisen muß, wenn der Käufer sich zuvor auf das Verbraucherrecht berufen hat.

Dies dürfte dem Verkäufer unter Umständen schwerfallen, wird er doch etwa keine Kenntnis darüber erlangen, ob der Kaufbetrag steuerlich als Betriebsausgabe geltend gemacht wird oder nicht, so daß das vorliegende Urteil durchaus als mittelbare Ausweitung des Verbraucherschutzes für Unternehmer angesehen werden kann.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 30. September 2009 – VIII ZR 7/09
Vorinstanzen: AG Hamburg-Wandsbek – Urteil vom 13. Juni 2008 – 716A C 11/08, LG Hamburg – Urteil vom 16. Dezember 2008- 309 S 96/08


Reiserecht: Einheimische, schwimmende Kekse, stechende Mücken & andere Reisemängel ..

30. September 2009

‚Reisen bildet‘ pflegt der Volksmund bekanntlich zu sagen, „je weiter du wanderst, desto weniger weißt du“ sagt interessanterweise Tao Te King – und was sagen die Gerichte ?

Es ist immer wieder erstaunlich, welche echten und vermeintlichen Mängel und Unannehmlichkeiten ihren Weg zu den Gerichten finden.
Doch nicht immer kann auch von einem grundsätzlich zur Minderung berechtigenden Reisemangel im Sinne von § 651 c Absatz 1 BGB ausgegangen werden:

Das Amtsgericht Aschaffenburg etwa zeigte sich „fast sprachlos“ über die Klage eines Urlaubers, der den Reisepreis mindern wollte, weil er den Strand doch tatsächlich mit Einheimischen teilen mußte (Urteil vom 19.12.1996, 13 C 3517/95). Ein Privatstrand war dem Urlauber aber auch im Prospekt nicht versprochen worden.
Mit Kamelen und Pferden hingegen muß sich der Urlauber den Strand allerdings nicht unbedingt teilen: Das Amtsgericht Köln hat eine starke Verunreinigung des Strandes mit Kamel- und Pferdemist als Reisemangel eingestuft (AG Köln, Urteil v. Urteil vom 27.12.06, AZ: 135 C 287/05).

Auch wenn Einheimische in unsicheren Regionen den Reisenden überfallen, gehört dies zum „allgemeinen Lebensrisiko“, für das der Reiseveranstalter nicht verantwortlich gemacht werden kann, so daß auch bei Reisen in Länder mit verbreiteter Armut oder erhöhter Gewaltbereitschaft der Reisende selbst zu wissen hat, worauf er sich einlässt (AG Köln, Urteil v. 01.11.02, AZ: 117 C 232/02; LG Frankfurt, Urteil v. 27.11.08, AZ: 2/129 O 105/08; OLG München, Urteil v. 08.07.04, AZ: 8 U 2174/04; LG Bremen, Urteil v. 27.02.02, AZ: 4 S 432/01).
Etwas anderes kann freilich dann gelten, wenn dem Reiseveranstalter bekannt ist, daß eine konkrete und erhöhte Gefährdungssituation im Reiseland besteht. In diesem Fall ist er verpflichtet, den Reisenden vorab darauf hinzuweisen und / oder geeignete Vorkehrungen treffen.

„Überfälle“ durch Mücken sind gleichfalls nicht als Reisemangel anzusehen, genausowenig wie Sandflöhe und Strandwespen auch in hoher Zahl, weil es sich hierbei jeweils um typische und nicht zu verhindernde Natur- und Reisebegleiterscheinungen handelt, die der Urlauber ersatzlos hinzunehmen hat (AG München, Urteil v. 31.8.07, AZ: 222 C 20175/06; AG Köln, Urteil v. 06.03.08, AZ: 134 C 419/07).

Dies gilt übrigens auch für hohe Wellen und schlechtes bzw. gutes Wetter: Das Landgericht Hannover hat dazu ausgeführt, daß kein verständiger Reisender erwarten könne, daß ein Reiseveranstalter durch eine allgemeine Klimabeschreibung im Reiseprospekt generell Unwägbarkeiten der Natur und deren Folgen ausschließen wolle.
Da der Reiseveranstalter keinen Einfluß auf Naturereignisse wie schlechtes Wetter oder hohe oder niedrige Wellen hat, kann er insoweit auch folgerichtig nicht als „Erbringer von Reiseleistungen“ tätig werden (LG Hannover, Landgericht Hannover; Urteil v. 17.08.09, AZ: 1 O 59/09).

Auch im Hotelpool treibende Gebäckreste stufte das Amtsgericht Düsseldorf (Urteil v. 23.10.2008 – 27 C 8283/08) als „typische Erscheinung des Massentourismus“ ein und versagte dem Kläger deshalb einen Reisepreisminderungsanspruch.
Doch auch in unmittelbarer Umgebung des Pools ist erhöhte Vorsicht angebracht: Eine Urlauberin war während einer Kreuzfahrt vom Außenpool kommend in einem Treppenaufgang ausgerutscht und gestürzt, obwohl sie durch ein Warnschild, mit dem auf die mögliche Nässe hingewiesen wurde, eigentlich gewarnt war.
Das Amtsgericht Offenbach hat hier eine Verletzung von Sorgfaltspflichten seitens der Urlauberin angenommen und den Minderungsanspruch zurückgewiesen (Urteil v. 27.05.08, AZ: 36 C 477/07).

In einem anderen Fall wurde die Klage eines Urlaubers abgewiesen, der zusammen mit drei anderen Urlaubern mit dem Hotelfahrstuhl in den ersten Stock gefahren war: der Boden des Fahrstuhls hielt mutmaßlich auf Grund des Gewichts der vier Urlauber nicht auf dem selben Niveau wie der Boden der erreichten Etage, woraufhin der Urlauber beim Verlassen des Fahrstuhls wohl infolge eines kurzen Augenblicks der Unachtsamkeit stürzte und seinen Urlaub am nächsten Tag auf Grund starker Kniebeschwerden abbrechen mußte.
Mit gewichtigen Gründen wurde ihm letztlich vom Gericht beschieden, daß in ausländischen Hotelanlagen eben nicht der deutsche Sicherheitstandard als Maßstab herangezogen werden könne, sondern vielmehr auch hier die „Besonderheiten des Gastgeberlandes“ zu berücksichtigen gewesen wären (AG Karlsruhe, 8 C 192/08).

Diese Beispiele aus der Rechtsprechung zeigen, daß eben nicht an jedem Urlaubsort der aus der Heimat gewohnte Komfort und Standard erwartet und verlangt werden kann und die jeweiligen landestypischen Einschränkungen und Gegebenheiten eben genau wie das allgemeine Lebensrisiko hinzunehmen sind, wenn der Urlaub denn nicht schön daheim auf Balkonien verbracht werden soll, es sei denn, der Reiseveranstalter gibt ausdrückliche Zusicherungen.

Mehr über zum Teil amüsante Mängel und „landestypische Begleiterscheinungen“ kann in der von den Gerichten häufig herangezogenen Kemptner Reisemängeltabelle (öffnet als pdf) nachgelesen werden.


Außergerichtliche Anwaltskosten bei Verkehrsunfall immer erstattungsfähig

29. September 2009

Bei einem Verkehrsunfall ist die Versicherung des Verursachers auch dann zur Zahlung der Rechtsanwaltskosten des Geschädigten verpflichtet, wenn sie sich zur uneingeschränkten Regulierung des Schadens bereit zeigt.

Das hat Amtsgericht Kassel hat in seinem jüngst veröffentlichten Urteil ausgeführt, daß es „einen rechtlich einfach gelagerten Verkehrsunfall“ nicht mehr gibt, was vor allem eine Folge der unübersichtlich gewordenen Rechtsprechung zum Umfang des ersatzfähigen Schadens ist, das für den Normalbürger nicht mehr überschaubar ist.
Zu nennen ist hier exemplarisch die Kürzung von fiktiven Reparaturkosten, Ansatzmöglichkeiten der Wertminderung, Verbringungskosten, Unfallersatztarif, die Höhe der Sachverständigenkosten, die Abwicklungspauschale für den Geschädigten etc.

Ähnlich hatte bereits das Amtsgericht Coburg 2005 (Urteil vom 22.09.2005, 15 C 828/05) ausgeführt, wonach sich der Geschädigte nicht darauf verweisen lassen muß, „erst ohne Hinzuziehung einer in der Unfallabwicklung geübten Anwaltskanzlei selbst die eintrittspflichtige Versicherung herauszufinden, anzuschreiben und irgendwelche Schadenspositionen zustammenstellen. Das Ergebnis käme … einem Glücksspiel gleich … „.

Aber auch aus Gründen der Waffengleichheit sah das Gericht die sofortige Einschaltung eines Rechtsanwalts für berechtigt an, weil die Versicherer über hoch spezialisierte Rechtsabteilungen verfügen, auf die der Schädiger zurückgreifen kann und es dem Geschädigten schlechthin nicht zugemutet werden kann, seine Rechte seinerseits ohne Hinzuziehung anwaltlicher Beratung adäquat wahrzunehmen.

Die Kosten für den mit der außergerichtlichen Prüfung und Geltendmachung der einzelnen Schadenspositionen beauftragten Rechtsanwalt sind demnach stets (adäquat kausaler) Teil des eigentlichen Schadens und von der gegnerischen Versicherung zu tragen.

Das vorliegende Urteil dürfte den Versicherern, die natürlich auf Kostenminimierung bedacht sind, nicht gefallen. Es kann eigentlich nicht oft genug wiederholt werden: Unfallgeschädigte sollten sich nicht auf die scheinbar gutgemeinten Angebote der Versicherungen einlassen, die Schäden ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts zu regulieren, denn die Motivation hinter solchen Offerten ist eine andere.

Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 30.06.2009, 415 C 6203/08


Ausübung von Gewerbe in der Mietwohnung

28. September 2009

Der Bundesgerichtshofs hatte zu entscheiden, ob die Ausübung eines Gewerbes in einer zu Wohnzwecken vermieteten Wohnung eine Pflichtverletzung darstellt, die eine Kündigung des Mietverhältnisses rechtfertigt.

Beklagte waren die Mieter einer Wohnung in Frankfurt am Main, die sie zusammen mit ihrem Kind bewohnten.

In § 1 des Mietvertrages war festgehalten, daß die Anmietung „zu Wohnzwecken“ erfolgte.
§ 11 des Formularmietvertrages enthielt die folgende Regelung:

„1. Der Mieter darf die Mietsache zu anderen als den in § 1 bestimmten Zwecken nur mit Einwilligung des Vermieters benutzen …“

Der als Immobilienmakler tätige Ehemann betrieb seine selbständige Tätigkeit von der gemieteten Wohnung aus.
Die Vermieterin hatte die Mieter zunächst und unter Androhung einer Kündigung aufgefordert, die gewerbliche Nutzung zu unterlassen. Nachdem die gewerbliche Nutzung dennoch forgesetzt wurde, erklärte die Vermieterin schließlich wegen vertragswidrigen Gebrauchs der Mietwohnung die fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses und forderte die Mieter zur Räumung und Herausgabe der Wohnung auf.

Das erstinstanzlich zuständige Amtsgericht hat der Klage auf Räumung und Herausgabe der Wohnung sowie der Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten stattgegeben. Das Landgericht wiederum hat die Räumungsklage in der zweiten Instanz hingegen abgewiesen.
Der Bundesgerichtshof hat nun der Räumungsklage wiederum stattgegeben und ausgeführt, daß der Vermieter einer Wohnung geschäftliche Aktivitäten seines Mieters freiberuflicher oder gewerblicher Art, die nach außen hin in Erscheinung treten, mangels entsprechender Vereinbarung – auch ohne ausdrücklichen Vorbehalt – nicht in der Wohnung dulden muß.

Der Vermieter kann allerdings im Einzelfall nach Treu und Glauben, § 242 BGB, verpflichtet sein, eine Erlaubnis zu einer teilgewerblichen Nutzung zu erteilen, insbesondere, wenn es sich nach Art und Umfang um eine Tätigkeit handelt, von der auch bei einem etwaigen Publikumsverkehr keine weitergehenden Einwirkungen auf die Mietsache oder die Mitmieter ausgehen als bei einer üblichen Wohnungsnutzung.
Werden für die geschäftliche Tätigkeit Mitarbeiter des Mieters in der Wohnung beschäftigt, kommt ein Anspruch auf Gestattung jedoch regelmäßig nicht in Betracht.


Bundesgerichtshof, Urteil vom 14. Juli 2009 – VIII ZR 165/08
Vorinstanzen:
AG Frankfurt am Main – Urteil vom 18. Dezember 2007 – 33 C 2808/07-29
LG Frankfurt am Main – Urteil vom 20. Mai 2008 – 2-17 S 19/08


AGG und Entschädigung wegen Belästigung: xenophobe Parolen

24. September 2009

In § 7 des AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) ist ein sog. Benachteiligungsverbot statuiert, bei dessen Verletzung sich der Arbeitgeber schadensersatzpflichtig machen kann gemäß § 15 Absatz 2 AGG.
Hierunter fällt auch die Verletzung der Würde eines Arbeitnehmers, wenn durch Belästigungen ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot kann sich auch aus der Untätigkeit des Arbeitgebers ergeben.

In dem nun vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall waren die vier türkischstämmigen Kläger im Lager der R. AG beschäftigt.
Dort hatten auf der Toilette für die männlichen Mitarbeiter Unbekannte ein Hakenkreuz und die Parolen: „Scheiß Ausländer, ihr Hurensöhne, Ausländer raus, ihr Kanaken, Ausländer sind Inländer geworden“ angebracht.
Die R. AG bestreitet die Behauptung der Kläger, ein Mitarbeiter habe den Niederlassungsleiter bereits im September 2006 auf diese Schmierereien hingewiesen, worauf dieser nichts veranlasst und sich lediglich dahingehend geäußert habe, „dass die Leute eben so denken würden“.
Spätestens im Rahmen eines Kündigungsrechtsstreits erfuhr die R. AG im März 2007 von den Beschriftungen. Sie ließ diese Anfang April 2007 beseitigen. Mit Schreiben vom 11. April 2007 haben die Kläger von der R. AG eine Entschädigung wegen einer Belästigung im Sinne von § 3 Absatz 3 AGG verlangt und die R. AG im Juni 2007 auf Zahlung von 10.000,00 Euro an jeden der Kläger verklagt.

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klagen abgewiesen.
Die Kläger blieben letztlich auch vor dem Bundesarbeitsgericht ohne Erfolg.
Die Richter haben zwar die Schmierereien ganz klar als unzulässige Belästigung der Kläger wegen deren ethnischer Herkunft betrachtet, aber aufgrund der streitigen Angaben über den Zeitpunkt der Unterrichtung des Niederlassungsleiters über diese Beschriftungen und dessen Reaktionen darauf keine Entscheidung darüber treffen können, ob durch die Schmierereien ein sog. feindliches Umfeld im Sinne von § 3 Absatz 3 AGG für die Kläger geschaffen worden war.

Letztlich scheiterten die Klagen aber an formellen Mängeln im Vorfeld:
Das AGG sieht für die Geltenmachung von Entschädigungsansprüchen eine Ausschlußfrist von zwei Monaten vor, § 15 Abs. 4 AGG, innerhalb derer der Schadensersatzanspruch schriftlich geltend gemacht werden muß. Diese Frist begann vorliegend spätestens ab dem Zeitpunkt der von den Klägern behaupteten Unterrichtung des Niederlassungsleiters über die ausländerfeindlichen Parolen auf den Mitarbeitertoiletten im September 2006 und war mit der Geltendmachung am 11. April 2007 jedenfalls abgelaufen.

Das AGG ist noch jung und viele Arbeitnehmer und deren Vertreter sind mit den einzelnen Regelungen offenbar noch nicht vertraut. Auch die Rechtsprechung hierzu ist noch dürftig, so daß etwa zur Höhe etwaiger Schadensersatzzahlungen für vergleichbare Belästigungen noch kaum ein Vergleichsmaßstab existiert.

Wir halten Sie aber auf dem Laufenden.

Bundesarbeitsgericht: Urteil vom 24. September 2009 – 8 AZR 705/08 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 18. Juni 2008 – 7 Sa 383/08 –


Streikbegleitende „Flashmob-Aktion“

24. September 2009

Auch die Gewerkschaften gehen mit der Zeit:
Die Gewerkschaft ver.di hatte eine sog. Flashmob-Aktion initiiert, bei der ca. 40 Personen überraschend eine Einzelhandelsfiliale aufgesucht und dort mit Waren vollgepackte Einkaufswagen zurückgelassen sowie durch den koordinierten Kauf von „Pfennig-Artikeln“ Warteschlangen an den Kassen verursacht hatten.

Das Bundesarbeitsgericht hat nun entschieden, daß solche Aktionen im und als Mittel des Arbeitskampfes nicht generell unzulässig sind, wie es der Arbeitgeberverband gerichtlich feststellen lassen wollte.

Die Richter haben ausgeführt, daß solche Flashmob-Aktionen, die darauf angelegt sind, die betrieblichen Abläufe (empflindlich) zu stören, dann gerechtfertigt und vom Arbeitgeber hinzunehmen sind, wenn sie der Durchsetzung tariflicher Ziele dienen und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen.

Zu der durch Art. 9 Absatz 3 des Grundgesetzes ausdrücklich geschützten Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften gehört auch die Wahl der Arbeitskampfmittel.
Hier kommt wieder die Verhältnismäßigkeit ins Spiel, denn Arbeitskampfmittel sind dann rechtswidrig, wenn sie zur Durchsetzung der erhobenen Forderungen offensichtlich ungeeignet oder nicht erforderlich oder wenn sie unangemessen sind (Dreistufige Verhältnismäßigkeitsprüfung).

Für die Beurteilung der Angemessenheit einer gewerkschaftlichen Arbeitskampfmaßnahme ist von wesentlicher Bedeutung, ob für die Arbeitgeberseite Verteidigungsmöglichkeiten bestehen. Gegenüber einer „Flashmob-Aktion“ im Einzelhandel kann sich der Arbeitgeber jedoch durch die Ausübung seines Hausrechts oder eine kurzfristige Betriebsschließung zur Wehr setzen. Eine derartige Aktion ist typischerweise auch keine Betriebsblockade, so daß die Richter die Aktion von ver.di nicht beanstandeten und die Klage abgewiesen haben.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. September 2009 – 1 AZR 972/08 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. September 2008 – 5 Sa 967/08 –


Raucherpause ohne Ausstempeln rechtfertigt fristlose Kündigung

24. September 2009

Rauchende Arbeitnehmer aufgepasst: Auch der kurzzeitige Entzug der Arbeitsleistung durch Raucherpausen stellt eine gravierende Verletzung des Arbeitsvertrages dar, die zur außerordentlichen Kündigung führen kann.

Das Arbeitsgericht Duisburg hat nun entschieden, daß eine Arbeitnehmerin, die trotz mehrfacher Abmahnung weiterhin Raucherpausen genommen hatte, ohne vorher die vorgeschriebene Zeiterfassung zu bedienen, von ihrem Arbeitgeber fristlos gekündigt werden durfte und damit die Kündigungsschutzklage abgewiesen.

Die langjährig beschäftigte Miterabeiterin war im Laufe des Jahres 2008 bereits mehrfach abgemahnt worden, weil sie Raucherpausen genommen hatte, ohne vorher auszustempeln.
Im Betrieb der Arbeitgeberin ist die verbindliche (und zulässige) Regelung getroffen worden, daß bei einer so genannten Raucherpause vorher auszustempeln ist.
Im Frühjahr 2009 stellte der Arbeitgeber fest, daß die Klägerin an drei aufeinanderfolgenden Tagen ohne vorherige Bedienung des Zeiterfassungsautomaten Raucherpausen genommen hatte. Auch das bei Wiederaufnahme der Arbeit erforderliche Einstempeln unterblieb. Nachdem die Klägerin in den Folgetagen auch keine Korrekturbelege einreichte, wurde die fristlose Kündigung ausgesprochen.

Das Gericht sah die außerordentliche und fristlose Kündigung der Mitarbeiterin als gerechtfertigt an, weil die Arbeitnehmerin durch den fortwährenden (kurzzeitigen) Entzug ihrer Arbeitsleistung eine gravierende Vertragsverletzung begangen habe, für die auch keine nachvollziehbare Begründung gegeben wurde, so daß das für die weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zerstört wurde.

Abgesehen davon, daß es bereits „unfair“ gegenüber nichtrauchenden Arbeitskollegen ist, die Arbeitszeit unter Hinweis auf Raucherpausen permanent zu verkürzen, macht die vorliegende Entscheidung erneut deutlich, daß die Pflicht zur Erbringung von Arbeitsleistungen die Hauptpflicht des Arbeitsvertrages darstellt und eine beharrliche Verletzung, in der Regel nach ordnungsgemäßer Abmahnung, zum Jobverlust führen kann.

Es sollte also darauf geachtet werden, ob und welche Betriebsvereinbarung besteht, gegebenenfalls kann nur empfohlen werden, die Zeiterfassungsgeräte, so welche vorgesehen sind, ordnungsgemäß zu bedienen und das Rauchen als das zu behandeln was es ist: als Privatsache.

Arbeitsgericht Duisburg, Urteil vom 14.09.2009, 3 Ca 1336/09


Unzulässige Farbwahlklausel bei Schönheitsreparaturen („Weißen“)

23. September 2009

Der Bundesgerichtshof hat seine Rechtsprechung zur Unzulässigkeit von formularmäßigen Farbwahlklauseln in Mietverträgen fortgeschrieben:

Das Gericht hatte darüber zu entscheiden, ob eine Klausel über die Vornahme von Schönheitsreparaturen wirksam ist, wenn sie die Verpflichtung zum „Weißen“ der Decken und Oberwände während der Mietzeit umfasst.

Die Beklagten waren Mieter einer Wohnung des Klägers in Berlin. Nach § 3 Abs. 6 des Formularmietvertrages waren die Beklagten zur Übernahme der Schönheitsreparaturen verpflichtet. In der Klausel ist bestimmt:

Die Schönheitsreparaturen umfassen insbesondere:

Anstrich und Lackieren der Innentüren sowie der Fenster und Außentüren von innen sowie sämtlicher Holzteile, Versorgungsleitungen und Heizkörper, das Weißen der Decken und Oberwände sowie der wischfeste Anstrich bzw. das Tapezieren der Wände.

Die Richter des achten Senats haben die Klausel als unwirksam eingestuft und einen Schadensersatzanpruch des Vermieters wegen nicht vorgenommener Schönheitsreparaturen, sprich Renovierung, durch den Mieter abgewiesen.

Bereits mit Urteil vom 18. Juni 2008 (VIII ZR 224/07) hatte der BGH entschieden, daß die dort verwendete „Farbwahlklausel“ den Mieter unangemessen benachteiligt und seine Verpflichtung zur Vornahme der Schönheitsreparaturen insgesamt unwirksam ist (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB).

Auch die vorliegende Farbwahlklausel schreibt dem Mieter nicht erst für den Zeitpunkt der Rückgabe der Wohnung, sondern bereits während der Mietzeit vor, für die Schönheitsreparaturen Wände und Decken zu „Weißen“.
Zwar ist dem Vermieter vor dem Hintergrund einer beabsichtigten Weitervermietung ein berechtigtes Interesse daran nicht abzusprechen, die Wohnung am Ende des Mietverhältnisses in einer Farbgebung zurückzuerhalten, die von möglichst vielen Mietinteressenten akzeptiert wird.
Es besteht jedoch kein anerkennenswertes Interesse des Vermieters daran, daß der Mieter bereits während laufender Mietzeit auf andere Gestaltungen, seien sie farbig oder nicht deckend, verzichten muß und so in der Gestaltung seines persönlichen Lebensbereichs eingeschränkt wird.
Dem Interesse des Vermieters ist durch eine Beschränkung der Farbwahlklausel auf den Zustand der Wohnung im Zeitpunkt der Rückgabe ausreichend Rechnung zu tragen, was hier jedoch nicht der Fall war.

Die Richter sind auch auf die sprachlichen Auslegungsmöglichkeiten zum Begriff „Weißen“ eingegangen und haben dazu ausgeführt, „daß es jedenfalls nicht fern liegt, unter dem Begriff „weißen“ nicht lediglich ein Synonym für streichen, sondern auch einen Anstrich in weißer Farbe zu verstehen. Lässt die Klausel somit auch diese Auslegung zu, so ist sie gemäß § 305c Abs. 2 BGB in dieser dem Mieter günstigsten, weil zur Unwirksamkeit der Klausel führenden Auslegung zugrunde zu legen.

Fazit:
Einmal mehr zeigt sich, daß in formularvertraglichen Mietverträgen zahlreiche Fallstricke verborgen sein können, die zu einer Unwirksamkeit der Schönheitsreparaturklauseln insgesamt führen können mit der Folge, daß der Mieter überhaupt nicht renovieren muß.
Mietern wie auch Vermietern bietet die Kanzlei Aabadi die zuverlässige und an den Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung orientierte Überprüfung solcher Klauseln.

Informieren Sie sich bevor Sie zu Farbroller und Eimer greifen, sie sparen Zeit, Geld und Nerven.


Bundesgerichtshof, Urteil vom 23. September 2009, VIII ZR 344/08
Vorinstanzen:
AG Schöneberg – Urteil vom 31. Januar 2007 – 5a C 59/06
LG Berlin -Urteil vom 11. November 2008 – 63 S 64/07


Unaufgefordert zugesandte Werbe-Mails rechtswidrig

23. September 2009

Unaufgefordert zugesandte Werbe-Mails sind rechtswidrig und müssen nicht hingenommen werden.

In dem vom Amtsgericht München entschiedenen Fall ging bei einem Arzt Mitte Dezember 2008 eine von einem Unternehmen versandte Werbeemail ein, in der für dessen Dienstleistungen geworben wurde.
Das Unternehmen bot dem Arzt an, eine eigene Domain für ihn zu erstellen. Eine Geschäftsbeziehung bestand zwischen beiden nicht. Der Arzt antwortete umgehend und verlangte Auskunft über die Speicherung und Löschung seiner Daten sowie die Abgabe einer Unterlassungserklärung. Als Antwort erhielt er indes lediglich eine neue Werbeemail.

Das wollte der Arzt aber nicht einfach so hinnehmen. Die Werbemails seien eine Belästigung, insbesondere weil er aus beruflichen Gründen verpflichtet sei, die eingehenden Emails sorgfältig zu lesen. Er bestand auf der Unterlassungserklärung und wollte darüber hinaus auch, daß ihm seine Rechtsanwaltskosten bezahlt werden.

Dies lehnte das Unternehmen ab. Die Mail sei nicht unaufgefordert zugesandt worden. Das Unternehmen hätte eine Autoresponderfunktion auf seiner Webseite eingerichtet. Das bedeute, daß Mails nur, allerdings dann automatisch, zugesandt werden, wenn vorher eine Mail an das Unternehmen gerichtet wurde. Die Zusendung des Werbeemails sei daher auf das Verhalten des Arztes zurückzuführen.

Das Amtsgericht teilte jedoch die Auffassung des Arztes:

Die unverlangte, also ohne das vorherige ausdrückliche oder stillschweigende Einverständnis des Adressaten abgeschickte, E-Mailwerbung stellt demnach eine unzumutbare Belästigung dar.
Die Unzumutbarkeit der Belästigung folge zum einen aus dem Kostenaufwand und zum anderen aus dem Aufwand an Mühe und Zeit für die Wahrnehmung und Aussonderung unerbetener Mails. Auf Grund der Eigenart dieses Werbemittels, mit geringem finanziellem Aufwand eine Vielzahl von Adressaten zu erreichen, sei es nach Auffassung des Gerichts zu befürchten, daß es bei Gestattung der unverlangten Zusendung von E-Mails zu Werbezwecken zu einer Überflutung der Anschlussinhaber mit Werbebotschaften komme.

Der Nutzen eines E-Mail Anschlusses, nämlich Mitteilungen rasch und preiswert empfangen zu können, würde dadurch in Frage gestellt. Der Empfänger wäre gezwungen, aus der Vielzahl der eingegangenen Sendungen die für ihn wichtigen und erwünschten mit entsprechendem Zeit- und Arbeitsaufwand auszusondern. Eine unzumutbare Belästigung sei selbst dann noch zu bejahen, wenn die Werbebotschaft im „Betreff“ von vornherein klar und unzweideutig als Werbung gekennzeichnet sei und der Empfänger sie auf Grund dieser Beschreibung ohne weiteres löschen könne, ohne sie erst lesen zu müssen. Denn auch der Abruf und die Anzeige der E-Mail sowie das Lesen des Betreffs kosten Zeit und Geld.

Vorliegend sei der Kläger, der seine E-Mail Adresse zur Kommunikation mit Patienten und Geschäftspartnern nutzt, aus Gründen der ärztlichen Sorgfaltspflicht gehalten, alle eingehenden Mails zur Kenntnis zu nehmen und auf ihre Relevanz für seine Tätigkeit zu untersuchen. Dieses Erfordernis wirde durch unverlangt zugesandte E-Mails jedoch deutlich erschwert und die unkomplizierte sowie schnelle Kommunikation per E-Mail behindert.

Da weder ein ausdrückliches noch ein stillschweigendes Einverständnis mit der Werbung vorliege und da auch nicht aufgrund konkreter tatsächlicher Unstände ein sachliches Interesse des Empfängers vermutet werden könne, stelle die an den Arzt versandte Werbe E-Mail eine Belästigung dar, die von ihm nicht hingenommen werden müsse.

Auch den Einwand der Werber, die E-Mail sei erst auf Grund einer E-Mail des Arztes mittels der sogenannten Auto-Responder-Funktion versandt worden, ließ das Gericht nicht gelten, denn ein (auch nur stillschweigendes) Einverständnis des Arztes mit der Zusendung von Werbe-Mails sei darin nicht zu erblicken.

Dies wäre allenfalls dann der Fall, wenn die die werbende „Antwortmail“ auslösende E-Mail eine Anfrage nach den Dienstleistungen des Unternehmens enthalten hätte, was vorliegend jedoch nicht der Fall war.

Das Gericht hat dem Arzt demnach gegen das Unternehmen neben dem Unterlassungsanspruch auch einen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Abmahnkosten zugebilligt, weil durch die unaufgeforderte Zusendung der Werbe-E-Mail in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Arztes eingegriffen worden ist, § 823 I BGB (Eingriff in ein sonstiges Recht).
Der Unterlassungsanspruch selbst ist im BGB zwar nicht ausdrücklich normiert, wird von der Rechtsprechung jedoch im Wege der „Rechtsfortbildung“ in Anlehnung an einen allgemeinen Rechtsgedanken (vgl. u. a. §§ 12 Satz 1, 862 Absatz 1, 1004 Absatz 1 BGB) angenommen.

Die Entscheidung ist zu begrüßen, weil damit dem Spam-Unwesen zumindest teilweise ein Riegel vorgeschoben wird. Die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs gegen im Ausland ansässige Unternehmen, die ihr Unwesen von ausländischen Servern aus betreiben, ist indes nicht ohne weiteres erfolgversprechend.
Gegen inländische Versender gibt das Urteil (bzw. das Gesetz) jedoch eine praktikable Handhabe auch gegen den einmaligen Versand unerwünschter Werbe-Nachrichten.

Urteil des AG München vom 9.7.2009, AZ 161 C 6412/09


Nutzungswertersatz beim Rücktritt vom Autokaufvertrag

21. September 2009

Der Bundesgerichtshof hat in einem Gebrauchtwagenfall entschieden, daß der Käufer nach Rücktritt von einem Kaufvertrag über ein Fahrzeug dem Verkäufer Wertersatz für die bisherige Nutzung zu leisten hat.

Der Entscheidung lag folgende Konstellation zugrunde:
Die Klägerin erwarb vom Beklagten, einem Kraftfahrzeughändler, mit Vertrag vom 9. Mai 2005 einen gebrauchten Pkw BMW 316 i mit einer Laufleistung von 174.500 km zu einem Kaufpreis von 4.100 €.
Die Klägerin hat wegen Mängeln des Fahrzeugs den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt. Die Parteien haben zuletzt nur noch darüber gestritten, ob sich die Klägerin, die mit dem Fahrzeug 36.000 km gefahren ist, bei der Rückabwicklung des Kaufvertrages den Wert der Nutzungen des Fahrzeugs anrechnen lassen muß.

Der Bundesgerichtshof hat nun entschieden, daß auch bei einem Verbrauchsgüterkauf (also einem Kaufvertrag, bei dem auf der einen Seite ein Verbraucher gemäß § 13 BGB steht (vgl. auch § 474 BGB), dem Verkäufer im Falle der Rückabwicklung des Vertrages nach § 346 BGB ein Anspruch auf Ersatz der Gebrauchsvorteile des Fahrzeugs während der Besitzzeit des Käufers zusteht.
(Nach der Rechtsprechung werden die Gebrauchsvorteile der Pkw-Nutzung in der Regel mit einem Prozentsatz zwischen 0,3 bis 0,8 der Bruttoanschaffungskosten je gefahrende 1000 km angesetzt.)

Die Entscheidung ist insoweit (auf den ersten Blick überraschend) überraschend, als daß sie im Widerspruch mit einer aktuellen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu stehen scheint, mit der dieser entschieden hatte, daß „Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG dahin auszulegen ist, daß er einer nationalen Regelung entgegensteht, die dem Verkäufer, wenn er ein vertragswidriges Verbrauchsgut geliefert hat, gestattet, vom Verbraucher Wertersatz für die Nutzung des vertragswidrigen Verbrauchsguts bis zu dessen Austausch durch ein neues Verbrauchsgut zu verlangen. (EuGH-Urteil vom 17.04.2008, C-404/06)”

Der Bundesgerichtshof sieht darin indes keinen Widerspruch, sondern begründet seine Entscheidung mit dem Hinweis, daß das Urteil des Europäischen Gerichtshofs sich auf das Recht des Verbrauchers auf Ersatzlieferung bezieht, an dessen Geltendmachung dieser nicht durch eine Verpflichtung zum Nutzungswertersatz gehindert werden soll, nicht aber auf eine Rückabwicklung des Vertrages, bei der der Käufer – anders als bei der Ersatzlieferung – seinerseits den Kaufpreis nebst Zinsen zurückerhält. Dies stehe auch in Einklang mit dem Erwägungsgrund 15 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999, der eine Berücksichtigung der Benutzung der vertragswidrigen Ware bei einer Vertragsauflösung ausdrücklich gestattet.

Wie so häufig, steckt auch hier der Teufel im Detail: Zwar ist es zutreffend, daß die Richtlinie 1999/44/EG es grundsätzlich erlaubt, „daß eine dem Verbraucher zu leistende Erstattung gemindert werden kann, um der Benutzung der Ware Rechnung zu tragen, die durch den Verbraucher seit ihrer Lieferung erfolgt ist“ (=Nutzungswertersatz).

Diese Regelung gilt indes nur für den in Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie vorgesehenen Fall der Vertragsauflösung und kann nicht als allgemeiner Grundsatz verstanden werden. Denn im Fall der Nachlieferung eines mangelfreien Kaufgegenstandes ist es gerechtfertigt, den Käufer für die zwischenzeitlich gezogenen Nutzungen nicht bezahlen zu lassen, schließlich wird er durch die Erlangung eines neuen Verbrauchsguts als Ersatz für das vertragswidrige (weil mangelbehaftete) Verbrauchsgut nicht ungerechtfertigt bereichert. Er erhält vielmehr lediglich verspätet ein den Vertragsbestimmungen entsprechendes Verbrauchsgut, wie er es bereits zu Beginn hätte erhalten müssen.
Im Falle der Rückabwicklung des Vertrages jedoch ist es durchaus gerechtfertigt, dem Verbraucher für die zwischenzeitlich gezogenen Nutzungen eine Pflicht zur Zahlung eines Nutzungswertersatzes aufzuerlegen. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der Käufer er vom Verkäufer arglistig getäuscht wurde und aus diesem Grunde von seinem Rücktrittsrecht Gebrauch macht, denn in diesem Fall ist der Verkäufer nicht schutzwürdig.


Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. September 2009 – VIII ZR 243/08
Vorinstanzen:
AG Hannover – Urteil vom 28. November 2007 – 549 C 14966/06
LG Hannover – Urteil vom 13. August 2008 – 10 S 1/08